Max Grundig
Max Grundig war derjenige, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wußte, wie wichtig Unterhaltung war. Mit seinen Rundfunkgeräten sorgte der Visionär für den Siegeszug des Radios und später für den des Fernsehens. Das von ihm eingeführte „Magische Auge“ zur Senderscharfstellung machte seine innovative Firma in kürzester Zeit zum führenden Hersteller der Unterhaltungselektronik.
Inhaltsverzeichnis:
3. Vom Heinzelmann zum Weltklang
4. Max Grundig wird führend in der Radiobranche
5. Als die Bilder laufen lernten
7. Grundig - Schnell geheuert, schnell gefeuert
8. Max Grundig - Die Frau an seiner Seite
1. Vorwort
Max Grundig war derjenige, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wußte, wie wichtig Unterhaltung war. Mit seinen Rundfunkgeräten sorgte der Visionär für den Siegeszug des Radios und später für den des Fernsehens. Das von ihm eingeführte „Magische Auge“ zur Senderscharfstellung machte seine innovative Firma in kürzester Zeit zum führenden Hersteller der Unterhaltungselektronik.
2. Stimmen in der Luft
Das begann in Nürnberg, am 7. Mai 1908, einem Donnerstag. Astrologen sollten später die Geburtsstunde Max Grundigs analysieren. Sie fanden Eigenschaften wie Ehrgeiz, Selbstbewußtsein und organisatorisches Talent, eine starke Willenskraft, Führerschaft und die Gabe des Weitblicks: „Dieser Persönlichkeit folgt man gerne. Dazu verhelfen ihm seine geistigen und praktischen Fähigkeiten, die eine Art Magnetismus ausstrahlen.“
Davon wußte der neue Erdenbürger nichts. Er wurde hineingeboren ins Kleinbürgertum, als Sohn des Magazinverwalters Max Emil Grundig und seiner Frau Marie, geborene Hebeisen, und in eine Zeit der Entbehrungen im Gefolge der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Der Vater brachte für die bald auf sieben Köpfe angewachsene Familie von den Herkuleswerken am Monatsende 278 Mark mit nach Hause. Damit konnte man nur das Nötigste fürs tägliche Leben abdecken. „Ich hab von früh bis abend Hunger gehabt“, erinnerte sich Max Grundig später an die Jahre zwischen 1914 und 1918. Doch es sollte noch schlimmer kommen: Der kleine Grundig war zwölf, als der Vater starb - an den Folgen einer unsachgemäß vorgenommenen Blinddarmoperation.
Es war der 24. Mai 1920 - nicht nur ein tragisches Datum für den Jungen, der seinen Vater liebte, auch ein Datum, das sein Leben entscheidend verändern sollte, an dem erstmals die Weichen zu dem gestellt wurden, was er später wurde. Max Grundig mußte arbeiten - so bald wie möglich, denn die elf Reichsmark Rente und das geringe Zubrot, das die Mutter als Stanzerin in den Triumphwerken verdiente, reichten hinten und vorn nicht. Im April 1922 schließlich fand er eine kaufmännische Lehrstelle - bei der Installationsfirma Hilpert. Er verdiente bald 30 Mark, gab das meiste davon zu Hause ab und kaufte für die verbliebenen paar Groschen Taschengeld 100 Meter Antennendraht.
Die brauchte er für seine Basteleien. Denn gerade war das Radio in Mode gekommen, ein Medium, das den inzwischen 16 jährigen mehr faszinierte als alles andere. Da gab es Stimmen in der Luft. Und niemand hörte sie. Niemand sah sie. Aber man konnte sie runterholen. In einen kleinen Kasten. Und das wollte er. Also verbrachte er jede freie Minute in seinem winzigen Zimmer zu Hause und tüftelte an irgendwelchen geheimnisvollen Apparaten, um das gespenstische Stimmengewirr in den Detektor zu zwingen. Er lötete, schraubte, kittete, baute zusammen, auseinander und wieder zusammen, zog quer durch Hof und Wohnung Antennendrähte und hatte schließlich Erfolg: Aus den Kopfhörern kamen die ersten krächzenden Töne. Von nun an hatte sich der Bazillus in ihm festgesetzt, seine Experimentierlust war nicht mehr zu bremsen. Alles, was neu war, zog ihn magisch an.
Nach dem Radio mußte es ein Bildfunkempfänger sein, von dem jetzt erstmals in den Zeitungen zu lesen stand. Weiß Gott, woher er sich das Material organisierte - ein Talent, das sich später noch auszahlen sollte das Ding funktionierte und zauberte dem jungen Grundig aus kleinen Bildpunkten postkartengroße Fotos vom Max Schmelings K.o.-Sieg über Hartig im Berliner Friedrichshain ins Zimmer. Noch allerdings blieb der „Radio-Spleen“, wie seine Umgebung nachsichtig spöttelte, ein Hobby, das ihn faszinierte, fesselte, ihm jede freie Minute wert war. Sein Geld aber verdiente er in Installateur Hilperts Nürnberger Büro - bis ihn sein Chef nolens volens selbst auf die Idee brachte, sich aus den Angestelltenzwängen zu befreien. Er machte den Juniorkaufmann für den Großauftrag bei einem Klinikneubau zum Filialleiter in Fürth.
Max Grundig war 20, verdiente rund 300 Mark und witterte seine große Chance. Durch geschicktes Verhandeln und Taktieren hatte er sich eine Umsatzprovision ausbedungen. Und die brachte monatlich noch einige Hunderter extra. Außerdem konnte er in dem Fürther Laden endlich seine selbstgebauten Radios offerieren. Der Radio-Manager Grundig hatte erstmals das Terrain betreten, das er einst wie ein Tycoon beherrschen sollte.Vorläufig verführte ihn der finanzielle Segen zu einer privaten Entscheidung, die sich bald als Jugendtorheit herausstellte. Er verliebte sich, heiratete und wurde Vater. Die innige Beziehung zu seiner ersten Tochter Inge hielt ein Leben lang, die Ehe nur kurz.In die Brüche ging auch die Beziehung zu seinem Chef.
Denn Chef wollte Max Grundig nun selbst sein. Er hatte gemerkt, daß er das Zeug dazu hatte, daß auf diese Weise Geld zu machen war - worauf also noch wartend 3000 Mark hatte er inzwischen auf die Seite gelegt, 3000 pumpte er bei einem Freund. Einen leerstehenden kleinen Laden hinterm Fürther Rathaus hatte er bereits ausgekundschaftet, nur eine Hürde war noch zu nehmen: Den Mietvertrag mußte - „der Sicherheit halber“, darauf bestand der Vermieter - die Mutter unterschreiben. Die aber weigerte sich, wollte den „Buben“ vor der riskanten Entscheidung bewahren. Es dauerte eine Woche, bis sie schließlich nachgab - immer noch mit der Angst, daß der Max ins Unglück rannte.
1928
In Berlin findet die fünfte „ Große Deutsche Funkausstellung" statt, auf der zahlreiche Radiogeräte präsentiert werden. Anläßlich dieser Funkausstellung werden erste Fernsehversuchssendungen vorgeführt, die aber nur wenig beachtet werden.
Mit dieser Einschätzung stand sie beileibe nicht allein. In einer Zeit, die von Wirtschaftskrisen geschüttelt war, das Wagnis einer Geschäftsgründung einzugehen, dazu gehörte nicht nur Mut, sondern auch eine gewaltige Portion Optimismus. Max Grundig hatte beides: Also ließ er am 15. November 1930 beim Fürther Amtsgericht seine erste eigene Firma eintragen. „Daß die Sache hätte schiefgehen können, darüber habe ich nicht eine Sekunde nachgedacht“, kommentierte er später die Grundsteinlegung des Grundig-Imperiums. „Das wäre ja eine Katastrophe gewesen, und so was habe ich gar nicht einkalkuliert.“
Die nächsten Jahre gaben ihm recht: Mit dem kleinen Geschäft in der Fürther Sterngasse, übrigens schräg gegenüber von Ludwig Erhards Elternhaus gelegen, hatte der frischgebackene Jungunternehmer bereits den Instinkt bewiesen, der ihn fortan steil nach oben führen sollte, der ihn als Ausnahmeunternehmer auszeichnete. Er witterte geradezu Trends, roch förmlich Marktbedürfnisse, erkannte blitzschnell Marktlücken und Marktnischen und reagierte mit einer Folgerichtigkeit, daß Konkurrenten nur noch das Nachsehen haben konnten. Bevor die Füchse aus dem Bau krochen, war der Hase Grundig längst schon da.
Die 30er Jahre wurden die Radiojahre. Die Begeisterung für das neue Medium wuchs von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Max Grundig baute auf diese Begeisterung. Er stellte einen Monteur ein, ließ sich die ersten Geräte des Fabrikats „Lumophon“ liefern und versuchte im November/Dezember 1930 mit Anzeigen in der Nordbayerischen Zeitung das noch zögerliche Geschäft anzukurbeln: „Rundfunkgeräte, Lautsprecher und Schallplatten. Lumophon, ,Die Weltmarke', kaufen Sie am besten und zu billigsten Preisen bei der Firma Radio-Vertrieb Fürth, Sterngasse 4. Besichtigen Sie unsere reichhaltige Ausstellung! Kostenlos und unverbindlich wird Ihnen jedes Funkgerät und Lautsprecher vorgeführt. Billigste Preise und beste Bedienung durch unsere Fachleute. Ein sofortiger Besuch ist Ihr Vorteil! Lumophon-Apparate erhalten Sie auf Zahlungs-Erleichterung in monatlichen Raten von Reichsmark 14,10 an.“ Das brachte zwar nicht viele, aber immerhin ein paar Kunden; die Mundpropaganda, insbesondere über die günstigen Preise und den prompten Service, tat ein übriges. Doch noch klingelte die Kasse vorwiegend, wenn Ersatzteile, Batterien, Glühbirnen und Bastelzubehör über den Ladentisch gingen. Dazu kamen mehr und mehr Reparaturen.
Mitte der 30er Jahre begann sich die Wirtschaft zu erholen, die Arbeitslosenzahlen gingen zurück, die Leute konnten sich außer den Lebensnotwendigkeiten auch wieder bescheidene Träume erfüllen. Und dazu zählte für viele ein Radio. Je mehr es gab, desto mehr gingen auch kaputt. Grundig verkaufte, reparierte, stellte einen zweiten Monteur ein, verbrachte die Tage im Geschäft - ab 1934 ein größeres, für Laufkundschaft günstiger gelegenes in der Schwabacher Straße -, die Abende bei Kunden, um auszuliefern, aufzustellen und kaputte Geräte abzuholen. Er informierte sich jährlich bei der Berliner Funkaustellung über die letzten Neuheiten - und hatte das Glück des Tüchtigen. Er profitierte von einem technischen Zwitter: Nürnberg hatte Wechsel-, Fürth Gleichstrom. Wer von Nürnberg nach Fürth zog, oder umgekehrt, dem brannte der Trafo durch. Max Grundig sprang mit beiden Beinen in diese Lücke, stellte Wickelmaschinen auf und versah fortan die durchgebrannten Trafos mit neuen Spulen.
Die Trafo-Kundschaft kam zuerst aus Fürth, dann aus Nürnberg, schließlich bat auch die Konkurrenz, die das Stromgefälle schlicht verschlafen hatte, um Amtshilfe, um defekte Geräte reparieren zu können. Das Geschäft florierte, die Belegschaft wuchs. An den schnell auf acht angestiegenen Wickelmaschinen arbeiteten neue Kräfte, ein Buchhalter, eine Bürohilfe und ein Lehrling wurden eingestellt; auch Max' Schwestern halfen mit und hatten durch den kleinen Betrieb des Bruders ihr Auskommen. Der resümierte 50 Jahre später: „Das mit dem Gleichstrom und mit dem Wechselstrom, das war mein Grundstock.“
Die Geburtsstunde des Rundfunks. Im Berliner Vox-Haus entsteht 1923 das erste deutsche Studio zur Ausstrahlung von Hörfunksendungen
Eine Trafo-Reparatur kam auf 16 bis 60 Reichsmark, bald machte der Laden rund 1000 Reichsmark monatlichen Gewinn. Den steckte der junge Unternehmer, auch das ein Rezept seines damaligen und späteren Erfolgs, sofort wieder in den Betrieb. Er kaufte für seine zwei Monteure einen Lieferwagen, Marke DKW. Mit dem tuckerten die beiden durch die Stadt, der eine lieferte Geräte aus, der andere stellte Antennen aufs Dach. Kurz, der rollende Kundendienst kurbelte den Umsatz nochmal kräftig an. Inzwischen war das Jahr 1938 angebrochen, das für Max Grundig in zweifacher Hinsicht zu einem unvergeßlichen werden sollte. Er heiratete ein zweites Mal - Anneliese Jürgensen aus Flensburg, die für den hart arbeitenden Geschäftsmann die exotische Welt des Theaters verkörperte. Und er machte seine erste Umsatzmillion. Die weckte in ihm den Ehrgeiz, sich nicht mehr nur mit der Existenz eines mittelmäßigen Einzelhändlers zu begnügen, sondern unter die Kleinproduzenten zu gehen.
Der Schritt dahin lag nahe: Warum sollte er, anstatt Trafos nur zu reparieren, nicht gleich neue herstellen ? Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da hatte er in dem für ihn üblichen Tempo bereits Bleche, Spulenkerne und Draht organisiert, die Fabrikation lief an. Und wie! Schon im ersten Jahr verließen 30.000 Kleinsttransformatoren die Schwabacher Straße. Einen neuen Großkunden und damit den entscheidenden Antrieb gewann Grundig durch den Kriegsausbruch 1939. Die Wehrmacht schickte ihre kaputten Geräte zur Reparatur, ließ alte Transformatoren wickeln, orderte neue. Auch als der Inhaber schließlich eingezogen wurde, hielt sein Meister die Produktion aufrecht - ein Glücksfall für die junge Firma.
Glück hatte auch Max Grundig selbst. Nach einem Gastspiel als Obergefreiter in Paris, gelang es ihm mit allen möglichen Tricks Schweijkscher Machart, in die Transportkommandatur nach Nürnberg versetzt zu werden, wo er nachts im Bunker seinen Dienst versah und tags sein Geschäft managte. Um das durchzuhalten, braucht man einen eisernen Willen und eine schier unmenschliche Energie. Aber seine Anwesenheit war dringender nötig denn je. Der näherrückende Bombenkrieg erzwang eine Auslagerung der Produktion.Grundig landete im nahen Dorf Vach, wo er erst zwei, dann drei leere Wirtshäuser anmietete. Dort, im Tanzsaal der „Linde“ und in der Kegelbahn des „Roten Ochsen“, ließ er seine Wickelmaschinen aufstellen. 100 bis 200 defekte Transformatoren waren jetzt das Tagespensum. Die Wehrmacht schickte sie, dazu Radiohändler aus dem ganzen Reichsgebiet.
1940
Die deutschen Rundfunksender beginnen mit der Ausstrahlung eines Einheitsprogrammes für das gesamte Reichsgebiet. Die Sendungen dienen zentral der Kriegspropaganda. Nur vormittags dürfen noch regionale Programme ausgestrahlt werden. Der Radio-Vertrieb Fürth wurde zunehmend wichtig, mit der Konsequenz, daß das Wehrbezirkskommando den so unersetzlich gewordenen Max Grundig 1943 UK - unabkömmlich - schrieb. Er konnte seine Kraft wieder ganz seiner Arbeit widmen.
Auf diesen jungen Unternehmer, der sich dazu noch durch raren Pioniergeist auszeichnete, war inzwischen auch die Großindustrie aufmerksam geworden. Durch die Kriegserfordernisse aufs äußerte angespannt, brauchte sie ebenso gute wie verläßliche Zulieferer. So kam sie auf Max Grundig, der 1944 schon mehr als 50.000 Kleintransformatoren in eigener Regie herstellte. Das allerdings, was eines Tages der Elektro-Riese AEG von ihm wollte, überstieg selbst seine, gewiß nicht niedrig angesetzten Maßgaben: fünf- bis zehntausend Transformatoren an einem Tag - unvorstellbar!
Doch Grundig wäre nicht Grundig gewesen, hätte er das Angebot nicht angenommen. Der Auftraggeber stellte Material und Arbeitskräfte, 150 ukrainische Fremdarbeiterinnen, und Grundig produzierte - so gut, daß sich bald schon Siemens mit dem selben Wunsch meldete. Die Aufträge an das hervorragend funktionierende Kleinunternehmen wurden immer diffiziler. Unter primitivsten Bedingungen entstanden jetzt in den fränkischen Dorfwirtschaften kriegswichtige Präzisionsteile, Steuerungsgeräte für die V1- und V2-Raketen, dazu elektrische Zünder für den Panzerschreck.
3. Vom Heinzeimann zum Weltklang
Als der Krieg im April 1945 zu Ende war, hatte sich Max Grundig nicht nur als Unternehmer bestens bewährt, sondern auch ein Vermögen von 17,56 Millionen Reichsmark angesammelt. Er war 37 Jahre alt und wußte genau: Er würde seine Maschinen, die jetzt zwangsweise Stillständen, wieder zum Leben erwecken. Er wollte weitermachen, er mußte neu anfangen.
Daß ihm das unerwartet schnell gelang, lag nicht nur an dem Glücksumstand, daß sein Geschäft in der Schwabacher Straße heil geblieben war, sondern auch daran, daß er die ukrainischen Mädels immer gut versorgt hatte. Wie Konstantin Prinz von Bayern in seiner Biographiensammlung Die großen Namen dem Max Grundig nachrühmt, hatte er für seine Zwangsarbeiterinnen immer freundliche Worte und Blicke und, „was noch wichtiger für sie war, immer Brot.“ Sie revanchierten sich, indem sie „ihre“ Firma bewachten, Maschinen und Materialbestand vor Übergriffen schützten und so dem deutschen Fabrikanten Hab und Gut retteten.
Mit Handkarren schaffte Grundig seine Werkzeugmaschinen und Vorräte im Frühjahr 1945 zurück nach Fürth, und schon im Juni konnte er weiter am Erfolg wickeln. Seine neuen Kunden waren Gis, die der Nürn- berg-Fürther Gleichstrom/Wechselstromfalle hilflos ausgeliefert waren. Kaputte Trafos und Sicherungen zuhauf. Max Grundig krempelte die Ärmel hoch, besann sich auf seine alten Tugenden und legte los. Schneller als andere hatte er den Schock der Niederlage und Unsicherheit überwunden. Als einer der ersten hatte er begriffen, daß in der angebrochenen Stunde Null auch alle Möglichkeiten des Aufstiegs lagen, wenn man sie nur erkannte und nutzte.
1945
Die Firma Radio-Vertrieb Fürth reparierte wie in ihren besten Tagen, wickelte Transformatoren, zauberte aus zwei kaputten Radios ein funktionierendes. Dafür gab’s immerhin eine ganze Stange Lucky Strikes. Machte umgerechnet 700 bis 1000 Reichsmark, je nach Kurswert auf dem Schwarzen Markt. Denn bezahlt wurde jetzt in Naturalien, bevorzugt in Zigaretten, die gegen benötigte Ersatzteile und Lebensmittel getauscht wurden. Amerikanischer Tabak bestimmte die Währung und verhalf Max Grundig, bei dem sich die Amerikaner, ihre kaputten Radios unterm Arm, die Klinke in die Hand gaben, zu einem Leben ohne materielle Sorgen.
Andere hätten sich damit vielleicht zufrieden gegeben, hätten den satten Bauch gepflegt und sich des Erreichten gerühmt. Nicht so Max Grundig. Er wollte mehr, er wollte Radios machen. Und dieses Ziel, das er schon mit sechzehn hatte, ging er jetzt an. Hartnäckig, konsequent und entschlossener denn je - zumal ihn auch die Tauschhändler drängten, nicht nur Hilfsmittel für den Radiohandel zu produzieren, sondern komplette neue Radiogeräte zu bauen, um Ersatz für die vielen von der Besatzungsmacht beschlagnahmten Empfänger zu beschaffen. Die alte Rundfunkindustrie war völlig ausgeschaltet; die Betriebe der altrenommierten Firmen wie Telefunken, Blaupunkt, Graetz, Schaub, Loewe und Mende lagen zu 80 Prozent in Berlin oder in Mitteldeutschland, waren dort demontiert oder enteignet worden und faßten in westdeutschen Ausweichquartieren nur langsam Fuß. Im größten konzernfreien westdeutschen Rundfunkwerk Saba in Villingen hatten sich französische Besatzungssoldaten eingenistet.
Fazit: Funktionierende Rundfunkgeräte waren absolute Mangelware, doch die Menschen, nach Entbehrungen und Bombennächten ausgehungert nach ein bißchen Zerstreuung, sehnten sich nach Ablenkung vom tristen Alltag. Und die konnte ihnen das Radio bieten, preiswert und bequem. Dazu endlich wieder die Verbindung zu einer Welt jenseits von Trümmerhaufen, Ruinen und Bezugsscheinen. Noch waren da allerdings die Alliierten und ihre Bestimmungen. An ihrem „No“ scheiterten Max Grundigs erste Radio-Ideen, „Floh“ und „Gnom“, einfache Einkreiser, die ihm ein damals stellungsloser Rundfunkingenieur konstruiert hatte. Als Trostpflaster blieb der Umzug in eine stillgelegte alte Spielwarenfabrik, wo die aus allen Nähten berstende Firma endlich Raum genug fand, und ein neuer Verkaufshit: Meßgeräte, die zur Reparatur heilgebliebener Kriegsradios dringend gebraucht wurden. Als die anderen Radiohändler mit zunehmend hilflosem Achselzucken nicht mehr ein noch aus wußten, wie der Flut der Funkveteranen Herr zu werden, hatte Max Grundig wieder mal die richtige zündende Idee im richtigen Moment. Er baute das Röhrenprüfgerät „Tubatest“ und das Fehlersuchgerät „Novatest“, landete damit einen absoluten Bestseller und war sich dennoch sicher, daß dies nur eine, wenn auch lukrative, Zwischenstation auf dem Weg zum selbstgesteckten Ziel sein konnte.
Wie er das trotz der bürokratischen Schranken erreichen konnte, das beschäftigte ihn weit mehr als die Tatsache, daß seine Belegschaft inzwischen auf 42 Köpfe angewachsen war, die bereits im Dezember 1945 Geräte im Wert von 68.000 Reichsmark fabrizierten. Ein Jahr später hatte er es gefunden, das Ei des Kolumbus. Hatte einen Geniestreich ausgeknobelt, der ihn geradewegs in den Olymp der Unterhaltungselektronik führen sollte.
Das Ganze war so einfach, daß sich jeder, der nicht darauf gekommen war, die Haare raufen mußte: Das Radio sollte ein Spielzeug werden, und das herzustellen und zu vertreiben, konnte ihm niemand verbieten. Das zu kaufen, brauchte man auch keinen Bezugsschein.
Max Grundigs inzwischen legendäre Idee war der „Heinzelmann“, als Baukasten de jure ein Spielzeug, de facto ein Radio. Die Montage war so einfach, daß auch technisch unbegabte Käufer den Heinzelmann in kurzer Zeit zusammenbasteln konnten; nur die Röhren mußten beim Händler separat erworben werden.
Damit waren die US-Vorschriften unterlaufen. Was er jetzt noch brauchte, waren zwei fähige Mitstreiter, die er schnell fand: den ehemaligen Telefunken-Elektroingenieur Hans Eckstein, der die Pläne fertigte, und Otto Siewek, der die Vertriebsorganisation aufbauen sollte (später Grundigs Generaldirektor). Max Grundig selber übernahm den schwierigsten Part: Er beschaffte das Material. Die AEG schuldete ihm noch 4,5 Millionen Reichsmark und bezahlte mit Kupferdrahtrollen, Siemens stand noch mit 6,5 Millionen in der Kreide und lieferte dafür 200 Tonnen Bleche. Oft waren die Umstände auch mehr als abenteuerlich. Die Kunststoffdämmung etwa bestand aus der sogenannten Füllmasse ausgeschlachteter Bomben-Blindgänger. Das gelbe Zeug, das tonnenweise abfiel, wurde schwarz eingefärbt und als Kunststoff für den Heinzelmann-Bausatz verwendet.
1946
Am 10. August 1946 wurde die Radio-Produktion bei Grundig amtlich. Die Landesstelle für Eisen und Metalle in München erteilte eine vorläufige Betriebserlaubnis für „Rundfunkgeräte-Baukästen“, im Oktober verließen die ersten Heinzeimänner die nun zur regelrechten Fabrik angewachsene Firma: insgesamt 75 Stück, die Front wahlweise in Eiche oder Nußbaum, das Allstromgerät zu 176, das Wechselstromgerät zu 189 Reichsmark. Bis Jahresende war die Zahl auf 391 angewachsen, das bedeutete: In rund 400 Familien war der Kontakt zur Außenwelt wiederhergestellt. Gab’s Musik, Unterhaltung, Information aus dem Äther. Man konnte wieder „feindliches Ausland“, Jazz und BBC hören. Grundig wußte, was das für die Menschen bedeutete: „Ich mußte Radios bauen. Die besten. Die billigsten. Die Leute brauchten Radios.“
Und wie. Kaum fertiggestellt, wurden ihm die Heinzelmänner schier aus den Händen gerissen. Denn mittlerweile hatte Grundig in vielen Teilen Westdeutschlands wendige Händler, die sich auf dem Schwarzmarkt auskannten, als Werksvertreter installiert. Auf dem Zenit der damit begonnenen Weltkarriere erinnerte er sich: „Was bis zum Abend fertig war, ging noch am selben Tag raus. Viele Händler holten die Baukästen selber ab. Da wurde bar bezahlt, und an manchen Tagen hatten wir soviel Geld eingenommen, daß wir es abends gar nicht zählen konnten. Dafür war keine Zeit. Die Scheine kamen einfach in eine große Kiste.“
Auch die Presse wurde jetzt auf den Tüftler in Franken aufmerksam. In der führenden Fachzeitschrift Funkschau erschien im Januar 1947 ein überschwenglicher, ganzseitiger Artikel, der der Firma RVF, Fürth, einen „für die Rundfunktechnik neuen, erfolgreichen Weg“ bescheinigte. Besonders hervorgehoben wurde, daß sich durch die sorgfältig entwickelte Schaltung „bei sparsamster Materialanwendung Höchstleistung erzielen lassen. So wurde unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Markdage bewußt auf jedes irgendwie nicht erforderliche Einzelteil verzichtet.“ Und weiter hieß es: ,,... läßt sich die Einzelmontage in wenigen Minuten bewerkstelligen.“
Trotz des nicht zu bremsenden Booms mit dem Erfolgsmodell - in einem Jahr wurden insgesamt 12.000 Stück des Heinzelmanns abgesetzt -, kannte Max Grundigs Unrast keine Pause. Eine Notiz in den Nürnberger Nachrichten vom 12. Januar 1946 hatte ihm Hoffnung gemacht, endlich ein komplettes, ein „richtiges“ Radio bauen zu können. „Die Tausende und Abertausende von Hörrn in Stadt und Land“, hieß es dort, „die Tag für Tag ihre nicht mehr funktionierenden Rundfunkgeräte nur mit stillem Ingrimm und einem Seitenblick auf das Beil ansehen können, wird es zwar nicht trösten zu hören, daß in der amerikanischen Zone allein von etwa zweieinhalb Millionen in Gebrauch befindlich gewesenen Apparaten nur noch ca. 500.000 Stück einwandfrei arbeiteten. Denn gemeinsames Leid ist hier leider nicht geteiltes Leid ...
Aber es zeigt sich schon ein Silberstreifen am Horizont. Aus Stuttgart kommt die erfreuliche Kunde, daß für das Jahr 1946 die Fabrikation eines Drei- bis Vier-Röhren-Einheitempfängers für die amerikanische Zone vorgesehen ist, der in einer Auflage von 150.000 Stück auf den Markt kommen soll. Zwei Drittel davon sind für die Zivilbevölkerung bestimmt.“ Grundigs Ehrgeiz war geweckt, bei diesem Geschäft wollte er ganz vorne dabei sein, seinen Vorsprung vor den etablierten Firmen nutzen. Im Kopf des Fürther Radio-Pioniers tackerte es. Heftig und unaufhörlich. „Wie steht es mit der Entwicklung des nächsten Gerätst“, fragte er im September desselben Jahres bei seinem Ingenieur Hans Eckstein nach, als dieser noch mitten in den Feinheiten des Heinzelmann-Konzepts steckte. Mit diesem nächsten Gerät wollte Max Grundig den großen Wurf landen. Hier lag der unternehmerische Folgemarkt. Mit 5000 Supergeräten, dem „Weltklang“, wollte er dort einsteigen.
1948
In Bayern wird ein Gesetz zur „Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des Öffentlichen Rechts" erlassen und damit der Bayerische Rundfunk gegründet. Der Sender übernimmt die Aufgaben und die Technik von „Radio München". Während ringsum angesichts der galoppierenden Inflation die Unsicherheit wuchs und in gleichem Maß die Bereitschaft zu investieren sank, ließ sich Max Grundig davon nicht beirren. Er produzierte, stellte Leute ein, produzierte, stellte noch mehr Leute ein. Ende 1947 waren es bereits 291, die sich in den vier Stockwerken der ehemaligen Spielzeugfabrik auf die Füße traten.
Der erreichte Jahresumsatz von vier Millionen Reichsmark erlaubte es Grundig, endlich das bei der Stadt längst monierte größere Grundstück einzuklagen. Er bekam es, auf dem Gelände einer ehemaligen Heilquelle an der Stadtgrenze zu Nürnberg, Kurgartenstraße 37. Dort wurde am 3. März 1947 der erste Spatenstich für den späteren Grundig-Konzern gefeiert, bereits im September zogen - nachdem der Chef persönlich beim Bau der sechs Steinbaracken kräftig mit Hand angelegt hatte - die ersten 280 Mitarbeiter um, und schon einen Monat später begann die Produktion des „Weltklang“ mit drei Wellenbereichen, Vollsichtskala, Gegenkopplung, Schwungantrieb und Vier-Watt-Orchesterlautsprechern - ein Traumradio für Millionen.
Die Konkurrenz kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was auch immer sie plante, Grundig war schneller. Mit Urgewalt brach er buchstäblich in eine Industriegruppe ein, die ihre wohlverdienten Rechte durch eine Überfülle von nationalen und internationalen Patenten abgesichert hatte. Bis zur Währungsreform im Juni 1948 hatte er bereits 1316 „Weltklang“ auf den hungrigen Markt geworfen - für rund 500 Reichsmark. Denn dieser Max Grundig hatte gegenüber den großen etablierten Firmen einen entscheidenden Vorteil. Hatten diese den Krieg überstanden, mußten sie sich mit veralteten Fabriken abplagen, mit überholten Maschinen, mußten sich erst einmal völlig umstellen. Das kostete Zeit und Geld und machte sie schwerfällig. Max Grundig hatte solche Hypotheken nicht als Klotz am Bein. Er fing von vorn an, setzte von Beginn an auf neue Fabrikationsmethoden, war fix, flexibel, und er steckte jede verdiente Mark wieder ins Unternehmen. Er brauchte keinen Aufsichtsrat zu fragen, er mußte keinen Teilhaber zufriedenstellen - er war absolut unabhängig. Wie das gelang, dafür hatte er eine einfache Erklärung: „Ich rührte keinen Backstein an, den ich nicht selbst bezahlen konnte. Ich brauchte kein fremdes Geld.“
Wie wahr. Denn noch immer lebte nicht nur Grundig mehr oder weniger vom Tauschhandel. Den größten Coup brachte ihm ein französischer Offizier ein. Der erschien eines Tages in Fürth, orderte 3000 Heinzelmann-Baukästen - und bezahlte mit 30 Millionen schwarzer Zigaretten und 5000 Kisten Tabak. Die Transaktion erforderte einen Sattelschlepper; um die heißen Dinger lagern zu können, mußte eine Scheune angemietet werden. Doch dort lagerten sie nicht lange. Eingetauscht erbrachten sie 30 Waggons Kohlen, abzuholen am Nürnberger Rangierbahnhof, auf den allerdings die Behörden ein scharfes Auge hatten. Das drückten sie nur zu, wenn sie an dem Deal beteiligt wurden. 10 Waggons für die Stadtverwaltung, 10 Waggons fürs Krankenhaus, die restlichen zehn konnte Grundig dann ganz legal für sich behalten. Der freilich brauchte im Moment weit dringender als Kohle Zement, um sein neues Werk in der Kurgartenstraße voranzutreiben. Der Kurs stand 1:1. Für einen Waggon Kohle einen Waggon Zement. Aber auch da mußten die städtischen Mitwisser zum Stillhalten verdonnert werden. Das kostete fünf Waggons für den Bauhof in Fürth, mit den restlichen fünf baute Grundig als wahrer Hans im Glück seine erste Fabrik.
Das Geld, das er dort investierte, war gut angelegt, denn über Nacht war die Mark nur noch zehn Pfennig wert. Die Währungsreform am 20. Juni 1948 bescherte jedem Bürger ein bescheidenes Startkapital von 40 DM, der lange gelähmten Wirtschaft aber gab sie endlich den Startschuß, richtig loslegen zu können. Das hatte Max Grundig zwar schon vorher getan, doch nun, nachdem er auch die Firma von RVF auf Grundig Radio Werke GmbH umgetauft und endlich mit seinem Namen identifiziert hatte, zog er wie eine Lokomotive allen davon. „Ohne die freie Marktwirtschaft, also ohne die Freiheit des Unternehmers wäre mein Erfolg undenkbar gewesen“, gab er Jahre später in einem ZDF-Interview zu Protokoll.
In den Gründerjahren hatte er zum Philosophieren wenig Zeit. Er parierte und agierte, ganz nach den gebotenen Chancen. Und die lagen offen. Die Mangelware Rundfunkgeräte war so verlockend, daß große Familien schon in den ersten Wochen nach dem Währungsschnitt ihre Kopfquoten zusammenlegten und sich als erste größere Neuanschaffung einen Grundig-Apparat leisteten.Am 23. März 1949 hatte er den 100.000sten Heinzelmann hergestellt, 800 Beschäftigte standen in 25 Werkhallen und Verwaltungsgebäuden bei ihm in Lohn und Arbeit, er war mit 20 Prozent Marktanteil größter Radiofabrikant der Republik. Längst war er der Tempomacher, und das bereitete ihm sichtlich Spaß. Die Geister, die er selbst gerufen hatte, wurde er nun nicht mehr los, wollte sie gar nicht loswerden, zumal der Erfolg auf seiner Seite war: Zum wahren Publikumshit entwickelte sich der lange anvisierte Heinzeimann-Nachfolger: der 4-Röhren-Super „Weltklang", nach damaligen Begriffen das erste Gerät, das sich optisch mit seinem Holzgehäuse von den primitiven Kriegs und Nachkriegsfabrikaten aus Bakelit abhob und schon allein aus diesem lapidaren Grund bedeutend mehr Anklang fand als ein ähnlich leistungsfähiges Gerät, das mehrere alte Firmen gemeinsam herausbrachten: ein Super mit Kunststoffgehäuse.
1950
Der Bayerische Rundfunk beginnt mit der Ausstrahlung von UKW-Sendungen. Die Empfangsqualität wird damit wesentlich verbessert. Die Programme werden aber gleichzeitig auf Mittelwelle ausgestrahlt, da viele Geräte keinen UKW-Empfang besitzen.
Gab es in der schnell durchorganisierten Maschinerie dennoch Pannen, wußte der Firmenchef sie auf seine Weise zu beheben. Das geschah, als sich eines der ersten fünf Modelle, der Grundig-Typ 268, als ausgesprochener Versager herausstellte. Es hagelte Reklamationen. Wütend riß Grundig daraufhin in seiner Rundfunkgeräte-Fabrik den Riemen von der Transmissionsscheibe. Dann schloß er den Leiter des Entwicklungslabors Hans Eckstein und die Techniker, die den Fehler verschuldet hatten, in ihre Arbeitszimmer ein und verlangte von ihnen binnen kürzester Frist ein fehlerfreies, pannensicheres Gerät. Um sie bei Kraft und Laune zu halten, ließ er ihnen durch ein Fenster üppige Mahlzeiten reichen, begleitet von einer seiner Standard-Redensarten, die noch oft zitiert werden sollte: „Dös alles von meim Gold." Die Klausur erwies sich als wirksam: In drei Tagen hatten die Techniker den Typ 268 zur Zufriedenheit ihres rabiaten Chefs umkonstruiert.
Max Grundig war jetzt 40 Jahre alt, im besten Unternehmeralter. Dazu eine wahre Ideenfabrik, aus der es nur so sprudelte, ein knallharter Rechner, ein fanatischer Arbeiter und besessen von einer Mission: Er wollte die junge Republik zu einem Radioland machen. Sein Rezept war einfach. Es hieß - wie später bei der japanischen Konkurrenz - billige Massenproduktion. Geräte zum erschwinglichen Preis, bei ständig verbesserter Qualität, mit immer neuen technischen Raffinessen und von jener schaurig-protzigen, klobigen Schönheit, für die die Nachkriegsdeutschen ihr Herz entdeckt hatten. Damit überschwemmte er den Markt.
Der Name Grundig wurde zu einem Begriff. Das legendäre „magische Auge“, die erste elektronische Frequenzanzeige, wurde sein Markenzeichen, trug dazu bei, daß er im Bekanntheitsgrad bald alle etablierten Konkurrenten überrundet hatte. Kaum eine Wohnstube, in der nicht ein Radio vom Typ „Weltklang“ stand, kein Freibad, kein Campinplatz, auf dem nicht das erste deutsche Kofferradio Grundig-„Boy“ plärrte, kaum eine Sekretärin, die Grundigs legendäres Diktiergerät „Stenorette“ nicht kannte, kein HiFi-Freak, der sich nicht um das stoffbespannte Radio „Zauberklang“ mit „Wunschklang“-Register gerissen hätte, einen jener Kästen mit elfenbeinfarbenen Drucktasten, zu deren erfolgreicher Betätigung es vor allem eines stabilen Fingers bedurfte. Und wer auf sich hielt, der wollte unter den ersten sein, die 1957 ihr Zuhause mit dem krummbeinigen „Stereo- Konzertschrank 7025“ aufwerteten, der zwingenden musikalischen Ergänzung zum Nierentisch.
Auch Der Spiegel konnte jetzt nicht mehr an dem Selfmademan aus Fürth vorbeisehen. „Wenn er sich gegenüber der erstarkenden Konkurrenz mit dem Glanz alter Namen behaupten wollte“, fand Deutschlands renommiertes Nachrichtenmagazin heraus, „mußte er zwei Aufgaben meistern: Die Geräte mit dem traditionslosen Namen Grundig mußten technisch höher gezüchtet werden als alle übrigen deutschen Fabrikate; und sie mußten billiger sein oder zumindest preisgünstiger erscheinen.“ Man konnte in der Hamburger Redaktion allerdings auch nicht umhin, dem Newcomer Respekt zu zollen: „Grundigs Eifer auf technischem und verkaufspsychologischem Gebiet spornte auch die anderen Firmen an. Sobald sie ihm auf den Fersen waren, griff er zu einem Abwehrmittel, das die Konkurrenten als sehr unangenehm empfanden: Er senkte die Preise und tat das in Etappen so oft, daß er den Verbrauchern demonstrierte, wieviel Luft noch in den Kalkulationen der Firmen steckte.“ Soweit ein Vorgriff auf ein Jahrzehnt, das für die Bundesrepublik das alles überrollende Wirtschaftswunder bedeutete, für Max Grundig als Günstling, Schrittmacher und Wunderkind der freien Marktwirtschaft den Gipfelsturm zur unternehmerischen Spitzenposition, zur Nummer eins der deutschen Unterhaltungsindustrie.
4. Max Grundig wird führend in der Radiobranche
1948 stand Max Grundig noch in den Startlöchern - allerdings mit den besten Empfehlungen für den Titelgewinn. Die schon erwähnte Funkschau, die seit dem Heinzelmann-Coup den findigen Kopf aus Fürth fest im Auge behielt, fand im August diesen Jahres erneut Anlaß, ihn ins Blatt zu heben: „Kenner des deutschen Marktes haben dem ,Weltklang‘-Super (einem gegenüber der Erstausgabe inzwischen verbesserten Modell mit Sechskreis-Hochleistung und vier Wellenbereichen) einen guten Start vorausgesagt. Sie ahnten jedoch nicht, daß dieser Super nach Aufhebung der Gerätebewirtschaftung einen geradezu sensationellen Erfolg haben würde, der in erster Linie auf die ausgezeichneten Eigenschaften des Geräts, aber auch auf den in dieser Klasse vorteilhaften Preis zurückzuführen ist.“
Unter eher lokalem Aspekt sahen die Nürnberger Nachrichten das Phänomen, das sich am Fürther Stadtrand ereignete: „... vor allem der Absatz an Radios durch die Fürther Betriebe gewährleistet, daß diese Industrie auch künftig als einzige Arbeitskräfte einstellt.“ 65o waren es bereits, die den steigenden Bedarf an Grundig-Heinzelmännern und -Weltklang sicherstellten. Die ersten Kunden-Rückmeldungen wurden zur Erfolgsbestätigung: „... bin mit dem Heinzeimann sehr zufrieden. Der Lautsprecher ist hervorragend. Diesen weichen und doch vollen Ton findet man selten bei einem Gerät“. „... bin von der Trennschärfe und Klanggüte Ihres Heinzeimann begeistert“. „... der Heinzeimann, in Ausführung sowie Empfang eine Glanzleistung“ .
Mit dem Jahr 1948 waren für Max Grundig und sein Werk alle Dämme gebrochen. Die freie Marktwirtschaft gab ihm endlich den Spielraum, sein ganzes unternehmerisches Talent, seine ganze Verve auszuspielen. Zielbewußt, mit untrüglichem Gespür für die Realitäten des Marktes, mit ungestümem Elan und ökonomischer Phantasie ging er seinen Weg, der ihm immer wieder auch schwere Entschlüsse abverlangte. Das betraf vor allem seine meist unkonventionellen Geldbeschaffungspraktiken. „Es waren während des Aufbaus oft Maßnahmen nötig, die nach heutiger Sicht neben dem Gesetz lagen“, konzidierte er selbst in der Rückschau. Nach der „goldenen Bilanzregel“ freilich wäre der Wiederaufbau gewiß nicht so rasch vonstatten gegangen. Doch der Erfolg rechtfertigte alle Winkelzüge. „In einem geradezu amerikanisch anmutenden Tempo“, wunderte sich die Medienfachwelt, „wurden nach Kriegsende die Grundig-Werke aufgebaut.“
Staunend, fassungalos und beeindruckt verfolgte die Öffentlichkeit diesen in der deutschen Nachkriegsgeschichte beispiellosen Griff aus den Trümmern nach den Sternen - vorangetrieben durch die nie erlahmende Initiative eines Mannes: Max Grundig. Die Währungsreform war gerade mal neun Monate alt, da konnte er sich bereits das Prädikat „größter westdeutscher Radiohersteller“ ans Revers heften. 12.000 Radiogeräte wurden im Monat produziert und mußten 84 Prüfungen durchlaufen, um den Grundig-Qualitätsmaßstab zu erfüllen. Fast alle Einzelteile wurden selbst gefertigt. Fünf eigene Lastzüge fuhren pro Woche 6000 Kilometer, um die Händler zu beliefern. Das Werksgelände war auf 12.500 Quadratmeter angewachsen.
Ein unglaublicher Aufschwung, den Max Grundig so wohl selbst nicht für möglich gehalten hatte. Sobald sich die Großindustrie neu etabliert haben würde, so seine Befürchtung, werde man ihn als Nachkömmling schnell ausmanövrieren. Inzwischen hatte die harte Schlacht begonnen. Gleich Grundig hatten sich 200 neue Fabrikanten in der westdeutschen Rundfunkbranche angesiedelt, darunter passionierte Bastler und Leute mit abenteuerlichen Vorstellungen vom Konkurrenzkampf, der bald in äußerster Schärfe losbrach. Er lichtete die Reihen der Produzenten in den folgenden Jahren derart, daß nur noch 35 übrigblieben. Doch während das Gros der Newcomer und einige alte Firmen liquidieren mußten, arbeitete sich Grundig bis zur Spitze der Branche vor.
Dabei kam ihm sein ausgeklügeltes Vertriebssystem sehr zustatten. Um auch bei Absatzstockungen oder Fehlfabrikaten kein Risiko eingehen zu müssen, vertrieb Grundig seine gesamte Produktion, wie schon in den Jahren vor 1948, weiterhin vorwiegend über sogenannte Werksvertreter. Zehn waren es 1950, und jeder von ihnen mußte sich vertraglich verpflichten, eine bestimmte Quote der laufenden Grundig-Produktion abzunehmen und innerhalb einer vorgeschriebenen Zeit (erst 30, später 45 Tage) bar zu bezahlen. Trotz dieser Vertragsklauseln war das Vertriebsmonopol für die konzessionierten Grundig-Monopolisten ein lukratives Geschäft: Der Boß gewährte ihnen 45 Prozent Händlerrabatt, von dem sie allerdings nach eigenem Ermessen einen Teil an die Einzelhändler abgeben mußten. Kritisch wurde die Situation für sie paradoxerweise, als das florierende Unternehmen seine Produktion vervielfachte, was auch ihre Abnahmequoten in die Höhe trieb.
Oft mußten sie die Geräte nun an die Einzelhändler verschleudern, denn der Unternehmer Grundig drang, unbeeindruckt von ihren Schwierigkeiten, auf Abnahme der vollen Quoten. Obwohl er die Werksvertreter mitunter für ungewöhnliche Hilfsleistungen in Anspruch genommen hatte: Noch war die Kapitaldecke seines schnell gewachsenen Unternehmens trotz des prompten Warenumschlags und des schnellen Geldrückflusses zu kurz. Oft war es fraglich, ob Betriebskosten, Wareneinkäufe, Investitionen und Steuern termingerecht bezahlt werden konnten. Da ihm die Banken - außer der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank - kein Geld leihen wollten, weil er ihnen nicht kreditwürdig genug war, fand der ehrgeizige Jungunternehmer den Ausweg mit den Wechselakzepten, die er sich von den Werksvertretern aushändigen ließ.
Die mit den Akzepten versehenen Wechselformulare ließ er sich bei der Bayerischen Hypo diskontieren, das heißt in Bargeld auszahlen. Daß es sich dabei um Wechselmanipulationen handelte, geht aus einem Beruhigungsschreiben hervor, das die Bank an einen verschreckten Werksvertreter richtete: „Die schriftliche Zusage (des Bankinstituts), daß es den Werksvertreter aus den Wechselbeziehungen nicht in Anspruch nehmen wird, dürfte die unbedingte Gewähr bieten, daß sie eingehalten wird ..." „Jeder von uns“, sagte zehn Jahre später Grundigs Kölner Werksvertreter, „mußte 1949 Akzepte für Wechsel über 20.000 bis 30.000 Mark geben.“
1951
Daß das reichlich unorthodoxe Finanzgebaren - von Grundig zur „rationellen Finanz- und Steuerpolitik“ abgewiegelt - den zuständigen Behörden über kurz oder lang sauer aufstoßen würde, war nur eine Frage der Zeit. Die war gekommen, als sich im Fürther Finanzamt der Eindruck verdichtete, die Sache anfechten zu müssen. Wütend beschwerte sich daraufhin der Firmenchef über die lästigen Recherchen der fiskalischen Betriebsprüfer: Sollte die Schnüffelei nicht aufhören, sehe er sich gezwungen, einen Teil der Belegschaft zu entlassen. Als das nichts nützte, griff er in seine allzeit parate Trickkiste, Bauart Schlaumeier, die ihm schon wiederholt aus der Patsche geholfen hatte. Er warb der Prüfungskommission kurzerhand ihren eifrigsten Schnüffler ab, der mit seinen profunden Steuerkenntnissen fortan Grundig im Gezänk mit dem Finanzamt beistand.
Doch schon bedrohte ein neuer Unruheherd die Erfolgsstory des jungen Unternehmens: Die genervten Werksvertreter probten den Aufstand. Sie verschworen sich auf einer Konferenz in Rüdesheim 1953, die ihnen aufoktroyierten unelastischen Verträge nicht länger hinzunehmen. Allerdings ohne Erfolg. „Grundig konnte damals oft brutal sein“, umschrieb einer der gescheiterten Rebellen die Unnachgiebigkeit des Konzernherrn, die einigen die Existenz kostete. Sie mußten wegen Zahlungsschwierigkeiten ihre Firmen liquidieren, darunter auch sein eigener Schwager. Auf dem Gewaltmarsch zur wirtschaftlichen Macht rollten zwar Köpfe, doch für Grundig, der jetzt den Vertrieb umstrukturierte und auf die neu gegründete Grundig Verkaufs-GmbH übertrug, heiligte der Zweck die Mittel. Und der Zweck war für ihn einzig und allein sein prosperierendes Unternehmen.
Das dirigierte er vor allem aus dem Bauch - ohne Rücksicht auch auf die eigene Person. Ohne ihn ging in der Firma gar nichts. Jeden Abend nach sieben trommelte der Firmenchef seine engsten Mitarbeiter zusammen und brütete mit ihnen die Pläne aus, die ihm auch in der zweiten Phase des Aufstiegs den Erfolg sichern sollten. Selbst die scheinbar unbedeutendste Fertigung mußte von ihm abgesegnet, und wenn sie seiner Vorstellung nicht entsprach, wieder und wieder vorgelegt werden, bis er sein Placet gab. Gefiel ihm etwas nicht, griff er zum Stift und zeichnete die Entwürfe einfach um. Er nahm die kleinste Bedienungsanleitung, deren Bürochinesisch nur zum Wegwerfen taugte, mit nach Hause und schrieb sie um. Er testete seine Führungsleute, ob sie imstande waren, die Geräte des Hauses mit links zu bedienen.
Bereits damals eignete er sich eine „Marotte“ an, die zum Signum werden sollte. Mitarbeiter erinnerten sich: „Während bei einer Besprechung über Vertriebsfragen diskutiert wurde, tastete er mit der rechten Hand unvermittelt über einen neben ihm stehenden Radio-Super. Plötzlich hielt er inne, stellte fest ,Die obere Kante geht nicht. Die ist zu hart. Das muß geändert werden' und schrieb den Namen des Gehäuse-Entwerfers auf eine Din-A-5-Seite.“ Diese „Rücksprachezettel“ waren gefürchtet. Für die, die dort landeten, gab es kein Entrinnen. Denn Schlamperei und Unprofessionalität fanden keine Nachsicht. Für den Perfektionisten Grundig wurden diese Notizen zu seinem formatierten Gedächtnis. Er schrieb jeden Vorgang, jede Frage, jeden Einfall mit einem seiner legendären Rotstifte auf, um sie dem Vergessen zu entreißen. „Vergessen“, meinte er, „ist tödlich.“ Mit diesen Din-A-5-Gedächtnisstützen organisierte er seine eigene Unrast. Sie wurden zum Rückgrat seiner Konzern-Strategie, die trotz des rasant wachsenden Mitarbeiterstabs in der straff organisierten Firmenzentrale immer eine One-Man-Show blieb.
Straff organisierte One-Man-Show: Max Grundig im Kreis seiner Führungskräfte
Er allein war es auch, der sich bereits in den Anfangsjahren eine schlagkräftige Verkaufsstrategie einfallen ließ: das Jedermann-Radio“ zu „Jedermann-Preisen“, mit einem großzügigen Teilzahlungssystem für Groß- und Einzelhändler - ganz im Sinne des Wirtschaftsministers in Bonn, Professor Ludwig Erhard, der einmal des damals noch kleinen Radiohändlers Nachbar war, bevor er den Turbolader seines Wirtschaftswunders zur Kenntnis nahm und ihn nach einem ersten Besuch in der Kurgartenstraße im Dezember 1949 regelmäßig traf. Die Sonntagsvormittagsgespräche bei einem Bocksbeutel Frankenwein und dicken Zigarren wurden zur festen sporadischen Einrichtung. Für Gerüchteköche ein gefundenes Fressen: Erhard mußte der Sponsor des Fürther Musterkonzerns sein!
Der erste war er auch mit dem schon Ende 1949 fabrizierten Kofferradio - wieder mal exakt zum richtigen Zeitpunkt. Denn mit Vespas, später mit Isettas, Gogo- mobils und VW-Käfern begannen sich die Deutschen langsam wieder zu motorisieren, machten Wochenendtrips und entdeckten das Camping. Das Kofferradio war bei diesem Freizeitvergnügen das Tüpfelchen auf dem i. Mit dem ersten Musikschrank („das Edeltonmöbel für den Musikfreund“) bot Grundig den lange vermißten Hauch von Luxus an.
1953
Die auf inzwischen 1600 angewachsene Belegschaft produzierte nun bereits eine ganze Baureihe, die Grundig populär die „Kleeblatt-Serie“ taufte. Den Namen hatte er sich von der Stadt Fürth entliehen, die ein Kleeblatt im Wappen führt, und von der SpVgg Fürth, womit auch das Herz aller Fußballbegeisterten gewonnen war. Ein publicitywirksamer Reklametrick, zumal Grundigs Frau Anneliese den Fürther Fußballern zum Dank für die Patenschaft im Stadion funkelnagelneue Kofferradios überreichte. Überhaupt: Der Fuchs aus Franken wußte, wie er die Massen begeistern konnte. Mehr und mehr führte er dem staunenden Publikum vor, wozu sein potentes Unternehmen in der Lage war - auch da immer allen anderen mehr als nur einen Schritt voraus.
Noch ehe die großen Messen des Jahres 1950 Gelegenheit zur Neuigkeiten-Schau boten, hatte er sich bereits eine eigene rollende Funkausstellung zugelegt: einen hellblauen Ausstellungswagen, zehneinhalb Meter lang, zehn Tonnen schwer - ein mobiles Schaufenster, das mit einem mikrophonbewaffneten Sportreporter kreuz und quer durch die Republik kurvte, stets heftig umlagert von Schaulustigen - ob auf der Kieler Woche, auf der Gartenschau „Planten und Bloomen“ in Hamburg, bei Fußballspielen oder Wintersportereignissen. „Ein stolzer Künder Fürther Unternehmungsgeistes und Industriefortschritts“ titelte die Presse in hehren Worten, und Max Grundig hatte wieder einmal bewiesen, daß er die Nase im Wind und das Ohr am Volk hatte. Bestätigt wurde ihm das Ende 1950 von der Fachzeitschrift Radiohändler. „... aus den beiden Voraussetzungen - zuverlässige und von ihrer Arbeit begeisterte Mitarbeiter und dem unbändigen Willen des Chefs, das Höchste zu erreichen - entstand jene magische Kraft, die Grundig-Radio so schnell emporwachsen ließ. Max Grundig ... ist es gelungen, das unverwüstliche deutsche Kapital an Ideen und Arbeitskraft in seinem Werk zu aktivieren.“
Max Grundig, der Großindustrielle, wie er neuerdings tituliert wurde, verfügte am Ende des Jahres 1950 über Europas größte Spezialfabrik für Rundfunkgeräte. Sein Jahresumsatz betrug unvorstellbare 44 Millionen DM, die Belegschaft war astronomisch auf 3005 - um 1400 in einem Jahr! - geklettert, der Export innerhalb Europas, nach Asien, Afrika und Südamerika war angelaufen. „Grundig riß die ganze Branche sowohl in kalkulatorischer als auch in technischer Hinsicht in einem Tempo vorwärts“, befand Der Spiegel, „das ihr gegenüber dem Ausland einen gravierenden Vorsprung sicherte.“ Westdeutsche Rundfunkgeräte waren auf den Exportmärkten überaus begehrt, besonders in den USA wuchs die Nachfrage stetig - „Grundigs Verdienst“, wie selbst einer seiner Konkurrenten, Blaupunkt-Direktor Werner Mayer, anerkannte
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Werben, wo die Massen sind: Grundig-Plakat auf der Berliner Funkausstellung
So rasant die Wachstumsbeschleunigung auch war, der Macher aus Fürth wollte sich damit nicht zufriedengeben. Er konnte nicht mehr bremsen. „Ich habe nie Zweifel gehabt“, wunderte er sich über die Zaghaftigkeit anderer, „ob ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Warum auch? Ich hatte doch Erfolg.“
5. Als die Bilder laufen lernten
Sein unternehmerisches Charisma hatte ihn bereits ein neues weites Feld wittern lassen, das er beackern konnte. Am 25. September 1950 hatte der damalige NWDR in Hamburg die ersten Fernseh-Versuchssendungen aufgenommen. Ein neues Zeitalter kündigte sich an - in breiten Kreisen freilich eher zögerlich begrüßt, zumal es noch keine Geräte gab, das „Heimkino“ zu empfangen. „Fernsehen kann den Film nicht ersetzen“, warnte denn auch im Mai 1951 eine im Auftrag der Industrie ausgearbeitete Expertise. „Die in Filmen so eindrucksvoll wirkenden Massenszenen kommen auf dem kleinen Bildschirm der Fernsehgeräte nicht zur Geltung, weil der wimmelnde Ameisenhaufen keine Vorstellung von der beabsichtigten Wirkung vermittelt.“
Exaktere Untersuchungen wiesen jedoch bereits damals auf ein starkes Käuferinteresse hin: „Eine Umfrage in Hamburg ergab, daß 5000 Familien bereit waren, sich einen Fernsehapparat bis zum Betrag von 4000 DM zu kaufen. 20 Prozent der Restaurantbesitzer erklärten sich ebenfalls bereit, Empfänger für ihre Lokale aufzustellen. “
1950
Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland wird gegründet. Unter ihrer Abkürzung ARD wird sie später den Zuschauern vor allem als Synonym für das Erste Fernsehprogramm bekannt.
Die Reaktion war geteilt. Während etwa der Bayerische Rundfunk auf vorsichtiges Abwarten setzte und nur sieben Prozent seines Etats fürs Fernsehen abzweigte, ging Max Grundig wieder einmal aufs Ganze. Die Deutschen brauchten Empfänger, wie sonst sollten sie sich für das neue Medium begeistern können. Er wollte sie ihnen geben. Worauf also noch wartend Bereits im April 1951 ließ er sich in Fürth den ersten Industrie-Fernsehsender für Messungen und Erprobungen künftiger Geräte aufs Dach stellen, wenige Wochen später das erste dieser Geräte montieren, das er am 28. Juni der Presse vorführte. Es wurde ein Paukenschlag. „Scharf und kontrastreich erschien das Bild eines Mädchenkopfes“, berichteten die Nürnberger Nachrichten etwas betulich, „während gleichzeitig der Sprecher des Senders verkündete: "Achtung, Achtung, hier spricht der Fernsehversuchssender der Grundig-Werke....".
Als schließlich abgeschaltet wurde, hatte man das Bewußtsein gewonnen, daß wenigstens von seiten der Privatindustrie alles getan wird, um in einer Entwicklung nicht zurückzustehen, die in allen Kulturländern bereits zum unentbehrlichen Bestandteil von Kultur und Technik geworden ist.“ Max Grundig hätte dieser Bestätigung nicht bedurft. Er hatte im Gegensatz zu den Zauderern in Bund und Land die Zukunft längst begriffen. Und Schlag auf Schlag ging er daran, auch die Öffentlichkeit davon zu überzeugen. Anfang September legte er eine umfangreiche „Beschreibung des Grundig-Fernsehempfängers“ vor: „Eingebaut in eine formschöne Edelholztruhe, berücksichtigt er in seinem technischen Aufbau den neuesten Stand der Fernsehtechnik .." Durch die Ausstattung mit einer Drucktastenumschaltung für sechs Fernsehkanäle wurde allen Möglichkeiten der Frequenzverteilung auf die einzelnen Fernsehsender bereits Rechnung getragen. Eine Rechteckbildröhre liefert auf einem Bildschirm von 220 x 294 mm strahlend helle, kontrastreiche und scharfe Bilder..."
Die praktische Vorführung der aufgezählten Vorzüge folgte bereits drei Wochen später - auf der „Leistungs- und Gewerbeschau“ in Fürth. Max Grundig steuerte mit der „ersten drahtlosen Fernsehsendung eines Films in Süddeutschland'' die Attraktion schlechthin bei. Vom 27. September bis 10. Oktober 1951 täglich wiederholt, zog sie nicht nur Schaulustige aus weitem Umkreis an, sondern fand auch ein nachhaltiges Presseecho. Am kräftigsten klopften wieder einmal die Nürnberger Nachrichten ihrem Lokalmatador auf die Schulter: „Damit - und das verdient festgehalten zu werden“, resümierten sie, „hob nicht der Rundfunk, sondern ein Werk der Nürnberg-Fürther Industrie das Fernsehen in Bayern aus der Taufe.“
Der Pionier Grundig war in seinem Element. Über seinen Direktor Siewek ließ er dem Bayerischen Rundfunk das Angebot machen, seinen Sender zur Verfügung zu stellen, um das Fernsehen voranzutreiben. „Damit“, begeisterte sich die Lokalpresse, „wäre wenigstens im Umkreis von zehn Kilometern - etwa bis an die Grenzen von Nürnberg - ein Empfang sichergestellt.“
Bewußt nahm Grundig auf dem Weg zu seinem Ziel „Volksfernseher“ jetzt die Schützenhilfe der Journalisten in Anspruch, die ihm willig gegeben wurde. „Natürlich“, rügten die Nürnberger Nachrichten in Richtung München, „müßte der Bayerische Rundfunk, der eine unbegreifliche Zurückhaltung übt, auch tatkräftig einspringen und - neben dem Aufbau eines eigenen Sendenetzes - mit Grundig Zusammenarbeiten, besonders was das Programm und dessen Kosten angeht. Hier hätte der Bayerische Rundfunk aber eine Möglichkeit, sich auf einem Gebiet in etwa zu rehabilitieren. Die Nürnberg-Fürther Industrie bietet die Hand - ob der Bayerische Rundfunk einschlägt? “
1951
Wie von Grundig, der darauf brannte, endlich loszuspurten, lanciert klingt auch die folgende Pressepassage: „Natürlich wird das Fernsehen zunächst noch ein teures Vergnügen sein, denn ein Empfänger kostet 1600 Mark. Immerhin: Man könnte öffentliche Fernsehstuben einrichten, wie es früher einmal in Berlin war. Aber worauf es in erster Linie ankommt: Daß es erst einmal richtig losgeht! Wenn einmal die Empfänger in Serie gebaut werden, sinken auch die Preise.“
Die Reklamemaschinerie tat ihre Wirkung. Schon spukte das Fernsehen in den Köpfen, die ersten 94 Geräte standen Ende 1951 in den Grundig-Werken auf Halde, die Markteinführung war nur noch eine Frage der Zeit. Daß ihm der große Durchbruch gelingen würde, davon war Max Grundig überzeugt - so sehr, daß er bereits jetzt Fabrikationsstätten zukaufte.
Die Lumophonwerke Nürnberg, aus denen er einst als kleiner Händler seine ersten Radioapparate bezogen hatte, standen zum Verkauf. Max Grundig zögerte keine Sekunde. Nach vierzehntägigen Verhandlungen war der Deal perfekt. Für 1,7 Millionen Mark gingen am 16. Mai 1951 die drei Lumophon-Betriebe an Grundig über - sie wurden seine Werke II, III und IV und markierten den endgültigen Aufstieg zum Weltkonzern. Die Kapazität lag jetzt bei über 400.000 Geräten (darunter die ersten 94 Fernseher), der Umsatz bei knapp 80 Millionen mit einem Exportanteil von drei Millionen, die Beschäftigtenzahl hatte die Viertausendergrenze überschritten und Grundig suchte in Zeitungsanzeigen ständig nach neuen Mitarbeitern: Weiterentwicklungsingenieuren, Rundfunkmechanikern und -technikern.
Privat wohnte der vielfache Millionär Grundig zu diesem Zeitpunkt noch immer in jener Dreizimmerwohnung. die er nach der Hochzeit mit seiner Frau bezogen hatte. Eigentlich hätte er nichts dagegen gehabt, dort zu bleiben, persönlicher Luxus gehörte nicht zu seinen Anliegen. Dann jedoch bot sich ihm auch hier ein Geschäft, das sein kaufmännischer Instinkt nicht auslassen konnte. Für nur 60.000 Mark wurde ihm eine Villa am Nürnberger Stadtpark angeboten. Grundig schlug zu.
Die zweite Investitionschance folgte auf dem Fuß. Schon immer hatte er als Ausgleich für den Urlaub, den er sich nicht gönnte, ein Wochenenddomizil gesucht, „was Ruhiges, zum Ausspannen“. Er fand es im oberbayerischen Lenggries. Zwar nicht das erwünschte kleine „Bauernhäusle“, doch die Bedingungen verboten auch hier langes Zaudern. Ein Zwei-Millionen-Quadratmeter-Besitz für 300.000 Mark! Gut Hohenburg, das dem Großherzog von Luxemburg gehörte, wurde für den Workaholic Grundig zum raren Refugium, wo er später Bullen und Schweine züchtete, seinem Hobby Angeln nachging und im übrigen wenigstens stunden und tageweise Radio und Fernsehen vergessen konnte.
Doch nie lange. Seine innere Unrast zog ihn schon nach kurzer Zeit zurück zu seinen Werken. Sein wirkliches Leben spielte sich hier ab. Jede neue Tüftelei, jede Neuerscheinung war von ihm angeregt und abgesegnet. Im Schatten der Fernseheuphorie gehörten dazu jetzt auch die ersten Heim-Tonbandgeräte, die zunächst in Musikschränke integriert, dann auch solo gebaut wurden. Zum wahren Verkaufsknüller reüssierten sie, als mit dem „Reporter 300 L“ für 998 DM der erste Tonbandkoffer unter 1000 Mark aufgelegt wurde - etwa zeitgleich mit dem ersten großen Fernsehgerät für 1800 DM. Neben diesen Markteinsteigern boomte der Radiomarkt. 1952 liefen täglich 2500 Geräte vom Band, die Millionengrenze wurde überschritten. Die Feierstunde, die aus diesem Anlaß am 12. Mai 1952 in der neuen Fernsehhalle der Grundig-Werke stattfand, brachte Max Grundig auch seinen ersten Orden, dem noch viele folgen sollten: das „Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Als Laudator versuchte Bayerns damaliger Wirtschaftsminister Dr. Hanns Seidel das Erfolgsgeheimnis der Grundig-Radiowerke zu ergründen: „Es liegt darin, daß wir es mit einer Geschäftsleitung zu tun haben, die mit Umsicht alle geschäftlichen Entwicklungen einleitet, die mit Weitsicht alle Entwicklungen erkennt und mit Tatkraft, das was erkannt ist, in die Wirklichkeit umsetzt. Und nicht zuletzt, daß in diesen Werken Menschen an der Arbeit sind, die gewohnt sind zu arbeiten und die wissen, warum sie arbeiten, Menschen, die über den nötigen Fleiß und die nötige Handfertigkeit verfügen.“
1952
Am 1. Weihnachtsfeiertag beginnt in Deutschland offiziell das Fernsehzeitalter. Einen Tag später wird zum ersten Mal die Tagesschau ausgestrahlt, die in der ersten Zeit dreimal wöchentlich im Programm steht. Um 22 Uhr ist in der Regel Sendeschluß.
Dieses Kapital, seine Beschäftigten, deren Zahl inzwischen auf über 6000 angewachsen war, wußte auch Max Grundig zu schätzen. Zwar war sein Umgangston mitunter gefürchtet, zwar konnte er, wenn etwas seinen perfektionistischen Ansprüchen nicht genügte, barsch und ruppig, ja sogar beleidigend werden. Darüber war er sich im klaren, fand's aber in Ordnung. „Ich will mich aufregen, weil ich mich damit abrege. Und schließlich kann ich doch zu meinen Leuten nicht sagen: Hätten Sie vielleicht die Güte und Liebenswürdigkeit ... Ich sag' halt: Schaun S’ zu, daß die Sache funktioniert. Aus, fertig.“ Seine Ungeduld machte ihn mitunter zum Choleriker. „Er führte sein Imperium wie ein russischer Zar, nur nicht so blutig“, umriß das der langjährige Betriebsratsvorsitzende Helmut Stachel: „Widerspruch duldete der Alte nicht.“
Das war die eine Seite des Arbeitgebers Max Grundig: der harte Mann, der mit knappen Befehlsworten regierte und sich um Einspruch wenig kümmerte, da er vor allem seinem guten Stern vertraute. Die andere, den weichen Kern, kann man in einer Werkszeitung aus dem Jahr 1952 nachlesen. „Trotz der Größe unseres Betriebs“, heißt es dort, „ist Herr Grundig gern bereit jedem Angehörigen unseres Betriebs in besonderen Fällen die Möglichkeit einer mündlichen Aussprache jeden Mittwoch in der Zeit zwischen elf und zwölf zu geben.“ Für berechtigte Sorgen seiner Leute hatte er, erinnern sich viele, meist ein offenes Ohr. Und ging es einem unverschuldet schlecht, half er schon mal aus seiner Privatschatulle finanziell nach.
Doch bei dieser „kleinen Fürsorge“ allein beließ es ein Max Grundig nicht. Auch in punkto Mitarbeiter plante er im großen Stil. Er wußte, daß Wohnungen knapp waren, also gründete er die Grundig Wohnungsbau GmbH und finanzierte damit 30 Werkswohnungen. Ein Jahr später folgte die Ruhegehaltskasse. Wer zehn Jahre bei Grundig war, erhielt ab dem 65. Lebensjahr (oder bei Arbeitsunfähigkeit) 25 Prozent des letzten Jahresverdiensts, Witwen die Hälfte der Rente ihrer Männer.
Eine großzügige Geste, doch beileibe nicht nur eine Wohltat. Max Grundig war Unternehmer genug um zu wissen, daß er, um sein rasantes Tempo durchzuhalten, Männer und Frauen brauchte, die mitzogen, die bedingungslos zu ihrer Firma standen. Die Grundigler taten’s. In Gesprächen klang so etwas wie Stolz durch, dazuzugehören. Aus gutem Grund. Ein Grundiggerät war längst so etwas wie ein Statussymbol in den deutsehen Nachkriegshaushalten. Grundiggeräte galten als die schönsten, die besten, die fortschrittlichsten. Technik und Design, made in Fürth, wurden beispielgebend für die ganze Branche. Grundig führte als erster „Klaviertasten“ anstelle der alten Drehschalter ein, und eine ganze Industrie mußte nachziehen. Grundig konzipierte Ovallautsprecher, 3-D-Klang und Klangregister, und die Konkurrenz eiferte ihm nach. War sie ihm ausnahmsweise einmal zuvorgekommen, variierte er die Verbesserung so geschickt, daß sie auf das Publikum wie eine echte Neuheit wirkte. Als zum Beispiel der aus Dresden nach Bremen verschlagene alte Radio-Fabrikant Martin Mende ein Wunschklangregister kreierte, das eine differenzierte Klangabstimmung ermöglichte, stieß der Fürther Radio-Konfektionär mit seinem Hi-Fi-System nach, einem ähnlichen Klangregister, aber attraktiver als bei Mende aufgeputzt.
Grundig galt als der Vorreiter. Den ersten Femseh- und Tonbandgeräten folgte 1953 der Einstieg ins Videogeschäft: Das „Fernauge“ wurde entwickelt. Das brachte ihm später noch Schlagzeilen in der Boulevardpresse ein. Mit Hilfe der Grundig-Femseh-Unterwasserkamera entdeckten Taucher im Sommer 1959 im österreichischen Toplitzsee Kisten mit Millionen gefälschter Pfundnoten, die deutsche Truppen dort bei Kriegsende versenkt hatten. Und im selben Jahr orderte König Ibn Saud von Saudi-Arabien eine Grundig-Fernauge-Anlage für seinen Palast in El Riad.
Es verging kein Jahr, das nicht mit einem Superlativ besetzt war: 1954 starteten die ersten Diktiergeräte unter dem Namen „Stenorette“, ein Jahr später erschienen der erste Fernseher unter 1000 DM - der in der Branche heftig diskutierte „Volksfernseher“, dessen günstiger Preis von 698 DM nur möglich war, weil er zu Lasten der Händlerspanne ging - und das legendäre Tonbandgerät TK 5 zum Ladenpreis unter 500 DM, das den Umgang mit dem Tonband zu einem neuen Hobby für Millionen machte.
1953
Die Krönung von Elizabeth II. von Großbritannien zur Königin ist das erste Großereignis, das vom Fernsehen live übertragen wird und in Deutschland die Zuschauer in Massen vor den wenigen Empfangsgeräten vereint.
Der Fürther Außenseiter konnte sich zum Preisführer der gesamten Branche nicht zuletzt deshalb aufschwingen, weil er inzwischen als größter Produzent seine Fließbandfertigung derart rationalisiert hatte, daß die Entstehungskosten erheblich gesunken waren. „Etwa 250 Konstrukteure, Techniker und Mechaniker sind in Grundigs Fabriken ausschließlich damit beschäftigt, Knoten im Produktionsprozeß aufzuspüren und durch neue arbeitsorganisatorische und technische Mittel endgültig auszuschalten“, konstatierte "Der Spiegel", der sich Anfang 1958 in einer Titelstory mit dem Phänomen Grundig auseinandersetzte. „Grundigs Produktionsbetriebe sind ein Musterbeispiel raffinierter Fließbandmechanik mit eingebauten Kontrollautomaten, die nicht nur jede Fehlleistung registrieren, sondern auch das Arbeitstempo überwachen. Der Rationalisierer Grundig hält solche Kontrollanlagen wegen der Zusammensetzung seiner Belegschaft für unerläßlich.
Etwa 65 Prozent des Personals sind ungelernte weibliche Hilfskräfte, die Tag für Tag ganz bestimmte vorgefertigte Teile zusammenbasteln, verlöten und montieren. Nur durch ausgeklügelte Arbeitsvorbereitung, durch Zerlegen der einzelnen Operationen in narrensichere Phasen, in die immer wieder Kontrollen eingeschaltet werden, kann ein so diffiziler Produktionsbetrieb mit ungelernten Hilfskräften aufrecht erhalten werden.“
Den Fernseher zum Bestandteil der Wohnungseinrichtung machen: Grundigs „Zauberspiegel“
Kontrolle beherrschte laut Spiegel auch höhergeordnete Betriebsabteilungen. „Die Führung des Unternehmens konzentriert Grundig so weit wie möglich auf sich selbst. In Gesprächen mit anderen Industriegrößen betont er oft seinen exklusiven Rang: In seinem Konzern regiere nur er, und das sei seine Stärke.“ Die Vorgabe stimmt: Die 50er und 60er Jahre, als die Bundesrepublik gemeinsam aufbrach, eine bessere Zukunft zu schaffen, als Energie und Fleiß ein von aller Welt bestauntes Wirtschaftswunder vollbrachten, waren Max Grundigs große Zeit. Er hatte Ideen. Er konnte sie durchsetzen. Seine Arbeitswut schien unerschöpflich. Er faßte Entschlüsse, intuitiv, in Sekundenschnelle und es stellte sich heraus, es waren die richtigen. Sein Unternehmen wuchs und wuchs, Jahr für Jahr kamen neue Werke hinzu.
1956 waren es bereits sechs. Grundig war der größte Tonband- und Musikschrank-Hersteller der Welt - wozu nicht zuletzt das florierende Übersee-Geschäft beitrug. Als zwei Jahre vorher die ersten Grundig-Geräte auf dem US-Markt erschienen waren, war das ein bis dahin unvorstellbarer Vorgang. Doch schon in den ersten drei Monaten hatte die Majestic International Corporation 11.000 Heimempfänger und Koffergeräte sowie 1000 Musikschränke vertrieben. Hier lag ein Markt offen, den konsequent auszuschöpfen der sonst so expandierfreudige Unternehmer allerdings verpaßte. Noch brachte er ja nicht mal für Europa alle Geräte her, die gebraucht wurden, was sollte er da, so seine Argumentation, in Amerika?
Zu Hause in Fürth verging kaum ein Monat, in dem Grundig nicht für Schlagzeilen in der Branche sorgte: das erste TV-Gerät mit 72-cm-Bildschirm; die Wunderröhre E 88 CC, die erste Röhre für Weitempfang; der Transistorboy, der erste deutsche Reiseempfänger mit Transistoren. Das Heinzelmann-Schaltuhren-Radio war nun der neue Luxus in Hotelzimmern, der Anrufbeantworter „Teleboy“ revolutionierte die Chefetagen, das Fernsehgerät „Zauberspiegel“ verzauberte Otto Normalverbraucher als perfekte Ergänzung zum voluminösen, hochglanzpolierten Grundig-Musikschrank.
Das Nachsehen hatte nicht nur die Konkurrenz, sondern in diesem Fall auch der deutsche Meinungsmonopolist Spiegel. Der hatte sich 1953 in einem Artikel über die Zukunft der Rundfunkgeräteindustrie zu der Vermutung verstiegen, daß „sich nicht nur der eigenwillige Nürnberger Industrielle Max Grundig, der ein rundes Drittel des deutschen Marktes versorgt, zu der Ansicht durchgerungen hat, daß die goldenen Zeiten des Nachholbedarfs vorbei sind. Ob aber die Ersatzbeschaffungen auf die Dauer eine jährliche Geräteproduktion ... wie im Jahr 1952 ... zulassen, ist zweifelhaft.“
Weit gefehlt! Vier Jahre später hatte der eigenwillige Franke Max Grundig gründlich bewiesen, daß er nicht auf Ersatzbeschaffungen warten mußte, sondern dank seiner Kreativität mit immer neuen Attraktionen Begehrlichkeiten zu wecken wußte. Das Konzernschema hatte er inzwischen - mit Hilfe seines mit allen einschlägigen Tricks gewaschenen Finanzberaters Josef Schäfer - steuersparend nach drei Kategorien geordnet: Besitzfirmen, Betriebsfirmen und Vertriebsfirmen, die unabhängig voneinander bilanzierten. Diese Firmenkonstruktion gestattete es ihm, die Gewinne geschickt aufzuteilen, so daß er nicht mit den gesamten Konzerneinnahmen der scharfen Besteuerung unterlag, die der Fiskus für Höchstgewinne in der Industrie vorgesehen hatte.
Und da Grundig seine Gewinne nicht wie die großen Aktiengesellschaften der Industrie mit Aktionären zu teilen brauchte, konnte er seine Erträge postwendend wieder in seine Betriebe stecken, neue Fabrikeinrichtungen und Versuchslaboratorien selbst finanzieren. So auch den Einstieg in eine neue Branche, als er 1957 die notleidenden Büromaschinenwerke Triumph in Nürnberg und die Adler-Werke in Frankfurt kaufte - ein Ausflug, der nur elf Jahre währte, aber von sich reden machte. In dieser noch stark ausbaufähigen Branche witterte der Trendsetter Grundig seine nächste Chance. „Das kann ich heute schon verraten“, renommierte er kurz nach dem Kauf, „ich muß und werde unter den erstklassigen Firmen eine Rolle spielen. Mit Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.“
Bilder vom Fließband: Fertigungsstraße für Grundig-Fernsehgeräte
An „Kleinigkeiten“ freilich kam er zunächst nicht vorbei. Denn zu Triumph gehörten auch die Herkuleswerke, wo einst sein Vater als Lagerverwalter ein mageres Gehalt verdient hatte. Und dort fand Max Grundig 70.000 unverkaufte Motorroller vor - für den Ausnahme-Geschäftsmann die Gelegenheit, erneut zu beweisen, daß er selbst aus abgestandenem Blech Gold machen konnte. Und sei's mit einer Posse, die der Franke sich nun anschickte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten aufzuführen. Sein Partner Ashbach von der Majestic International Corporation sollte, das war seine Idee, die Zweiräder, die hierzulande keine Abnehmer mehr fanden, den Amerikanern verkaufen.
Der erklärte den ansonsten hochgeschätzten Max aus Germany zunächst für crazy. „Kein Mensch kauft in den USA Roller. Völlig ausgeschlossen.“ Doch Grundig insistierte - und gewann. Die rettende Idee war eine Roller-Parade durch halb Chicago mit Max Grundig und einem blonden Marilyn-Monroe-Verschnitt vorneweg. Die Amis, schon immer für ausgefallene Actions zu haben, waren entzückt - und kauften: 60.000 Roller in drei Monaten.
Nicht minder beeindruckend und ungewöhnlich war die Kur, die Grundig den Triumph-Schreibmaschinen verpaßte. Er setzte nicht auf das beste, sondern auf das schlechteste Pferd im Stall. Dieses, ein häßliches, schwarzes Modell, das unter Ladenhüter rangierte, nahm er sich vor, machte es „ein bißel chic“, verpaßte ihm ein dezentes Mattgrau, ein handsames Format, einen einprägsamen Namen - Gabriele nach seiner jüngst geborenen Enkelin - und machte es zum Sensationspreis von 298 DM im Handumdrehen zum Verkaufsschlager (Werbeslogan: „Wer seine Briefe mit der Maschine schreibt, gilt mehr“). Und Triumph zum Schreibmaschinen-Marktführer in Europa. Lob für diesen neuesten Schachzug kam sogar aus Übersee. „Dieser Mann“, konstatierte das Time-Magazine im Februar 1957, „hat die richtige Nase.“
1957
Die Schraube hatte begonnen sich zu drehen. Je spektakulärer die Verkaufserfolge, desto größer die Nachfrage. Auch die vollelektrische Schreibmaschine „Matura-electric“ wurde zum Kassenhit. Für Max Grundig war’s nur ein kaufmännisches Husarenstück, wenn auch eines, das ihm des Erfolgs wegen schmeichelte. Sein Herz gehörte der Unterhaltungselektronik, seiner Passion von Kindheitstagen an. So zögerte er keinen Augenblick, zum rechten Zeitpunkt wieder aus dem Branchenfremdling auszusteigen. Der war gekommen, als im Sommer 1968 ein Unterhändler der amerikanischen Firma Litton Industries Incorporated aus Beverly Hills in Fürth erschien und 10.000 elektrische Schreibmaschinen orderte - alljährlich. Max Grundig hörte sich das an, überlegte eine Weile und fragte: „Warum kaufen Sie denn nicht gleich die ganze Fabrik?“
Vier Wochen später wurde der Verkaufsvertrag unterzeichnet. Für 60 Millionen Dollar, das waren mehr als 200 Millionen Mark, wurden die beiden inzwischen auf Hochglanz polierten und eng miteinander verzahnten Unternehmen, von denen Triumph seit Anfang der 60er Jahre mit üppig sprudelnden Erträgen und ungewöhnlich hohen Dividendensätzen (bis zu 50 Prozent) glänzte, verkauft, und Grundig beendete sein Schreibmaschinen-Erfolgsstück mit einem furiosen Finale. „Das war für mich ein Riesengeschäft“, freute er sich drei Jahre später. „Ich habe 100 Millionen Mark mehr bekommen, als sie wert waren.“ Damit beschaffte er sich die Mittel für einen großangelegten Ausbau der Kapazitäten in den angestammten Kernbereichen Fernsehen, Radio und Phono. Rechnerisch ausgedrückt: 157 Millionen investierte er in Kauf oder Gründung ausländischer Firmen, mit dem Rest baute er sein Werk im Inland aus. Nutznießer war insbesondere das neue Farbfernsehwerk in Nürnberg-Langwasser, das größte und modernste der Welt, ausgestattet mit einer eigenen Kunststoff-Produktionsanlage.
Zwischen diesem Happy-End und dem Beginn der Romanze mit der aufgemöbelten „Gabriele“ lagen elf Jahre, in denen Grundig seine Vormachtstellung im Stammgeschäft sukzessive und zielstrebig weiter ausgebaut hatte. Zu seinem 50. Geburtstag mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und der Goldenen Bürgermedaille der Stadt Fürth dekoriert, im Jahr darauf zum Konsul der Republik Mexiko ernannt, setzte er auf den einzigen Vorsprung, den er sich anderen gegenüber zubilligte. „Unternehmer sein“, davon war er überzeugt, „kann man nicht lernen. Entweder man hat's im Blut oder man wird's nie.“
Über die unwahrscheinlich anmutende Nachkriegskarriere des Max Grundig rankten sich inzwischen unzählige Legenden. Konservativen Unternehmern war es unbegreiflich, wie sich der ehemalige Radio-Einzelhändler ohne entscheidende Mitwirkung anonymer Gruppen eine wirtschaftliche Machtposition erobern konnte, vor der die etablierte Konkurrenz zitterte. Die Fama behauptete deshalb nicht nur, Grundig sei der Strohmann großer Konzerne, sondern hartnäckig hielt sich auch das Hirngespinst, Bundeswirtschaftsminister Erhard habe dem Konzern als stiller Teilhaber durch politische Beziehungen die nötige Starthilfe verschafft. So wenig das ernstzunehmen war, so sehr beschäftigte es dennoch auch seriöse Wirtschaftsexperten, wie dieser Max Grundig es schaffte, seine Produktion trotz einer Ende der 50er Jahre noch recht bescheidenen Kapitalausstattung derart voranzutreiben, daß er 1957 bei einem Stammkapital von kaum mehr als vier Millionen Mark bereits einen Umsatz von 400 Millionen Mark erzielte. Andere Unternehmen mit einer ähnlichen Umsatzquote, so rechneten sie nach, verfügten über das Zehn- bis Zwölffache des Stammkapitals.
Dabei lag die Lösung auf der Hand. „Grundigs Erfolg waren sein Fingerspitzengefühl, sein Riecher für das, was den Leuten gefiel“, konzidierte selbst der Betriebsratsvorsitzende Helmut Stachel, der mit dem autoritären Patriarchen so manche Schlacht auszufechten hatte, und traf damit den Nagel auf den Kopf. Der „Magier von Bild und Funk“, zu dem Die Welt ihn ernannte, erriet die Konsumträume der Nachkriegsdeutschen, besetzte ihre Wohnzimmer und prägte den Lebensstil einer ganzen Generation. Doch auch international wuchs der Vorsprung. In den 60er Jahren wurde Grundig zum größten Tonbandgeräte- und Musikschrankhersteller der Welt. Der Exportanteil betrug 1959 bereits 48 Prozent.
Das Werk wächst und wächst: Fabrikanlagen in Nürnberg-Langwasser
Prominente hören mit: Boxweltmeister Joe Louis im Jahr 1956 vor einem Grundig-Radiogerät
6. Von New York bis Moskau
Die Geschäftsaktivitäten wurden jetzt über eine eigene Bank abgewickelt, die 1958 gegründete Grundig-Bank. „Der ehemalige Radiohändler Max Grundig“, meldete der Spiegel, „dem die Banken noch vor zehn Jahren keinen Kredit anvertrauten, ist nun selbst Bankier.“
Am 4. Januar wurde die Neugründung im Handelsregister aktenkundig. Das Stammkapital betrug eine Million Mark. Ein geschickter Schachzug: Mit Hilfe der eigenen Bank konnte Grundig das flüssige Geldvolumen seiner Unternehmen rationeller einsetzen, etwa die liquiden Gelder der bestverdienenden Hauptbetriebsfirma Grundig Radio-Werke GmbH über die Bank den schwächeren Unternehmen zuleiten, so daß diese nicht so viel teure Fremdkredite in Anspruch nehmen mußten. Langfristig war geplant, die Bank zur Dachgesellschaft des Konzerns auszubauen, zur Drehscheibe für die Grundig-Gewinne.
1967
Außenminister Willy Brandt drückte auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin den großen roten Knopf mit dem das Zeitalter des Farbfernsehens in Deutschland eingeläutet wurde.
Der Aufwärtstrend wurde ungebremst ins neue Jahrzehnt hinübergetragen, auch das eine Periode ständiger Innovationen, die nur in Stichpunkten zu umreißen sind: drahtlose Ultraschall-Fernbedienung für Fernseher, Bausteinserie für individuelle HiFi-Anlagen, „Mini“ und „Solo-Boy“ als immer kleinere Taschenempfänger zu einem Preis unter 100 Mark, erste Farbfernseher mit 48-cm-Röhren für 1865 Mark, der Weltempfänger „Ocean-Boy“, das elektronische Notizbuch im Zigarettenetui-Format (Werbeslogan: „... für alle, die etwas zu sagen haben“), der erste farbtüchtige Videorecorder, das erste Uhren- Musikgerät „Sono-Clock“, die erste vollelektronische TV-Programmwahltechnik. Die Elektronikentwicklung wurde jetzt professionell vorangetrieben. 1967 gab Grundig grünes Licht für den Satellit - zu einem Zeitpunkt, als die Kurzwelle noch als Hightech-Spielzeug einer elitären Radiokaste galt, war sein Konzept für einen Kurzwellenempfänger bereits ausgereift. „Er riß uns alle mit“, erinnern sich Mitarbeiter an die Konferenz, in der es um die Markteinführung ging. „Die meisten plädierten für Vorsicht, hielten eine Stückzahl von 500 für vollauf genügend. ,Nix da', konterte der Senior, „5000!'“ Wieder einmal setzte Max Grundig sein Motto „Volle Kraft voraus“ gegen die Bedenken aus dem eigenen Haus, die in dem Satellit weiß Gott keinen Massenmarkt-Artikel sahen. Aber Grundig machte einen daraus. Die 5000 Kurzwellengeräte, die als Weltempfänger-Standard gelten, waren im Nu verkauft.
Im gleichen Maß wie die Produktpalette stieg die Zahl der Werke und Fertigungsstätten - auch das eine Entwicklung, die man nur im Zeitraffer dokumentieren kann: Werk XV, zwei Jahre vorher von Tonfunk gekauft, wurde 1967 in Karlsruhe in Betrieb genommen, vorausgingen mehrere Fabriken in wirtschaftlichen Notgebieten Nordbayerns, die weltgrößte Ton- bandgeräte-Fabrik in Bayreuth, ein neues Verwaltungszentrum in Fürth und 1963 die Pilotfabrik der Grundig-Stadt in Nürnberg-Langwasser.
Der deutschen Expansion entsprach der Ausbau des internationalen Netzwerkes. Der Gründung von Grundig Electronic in New York folgten in den kommenden zehn Jahren Filialen in Belfast, Zug, Porto, Trento, Wien und Edinburgh und brachten dem Konzernherrn u.a. den Verdienstorden der Republik Italien, das Ehrenzeichen der Republik Österreich, den Commentador-Verdienstorden der Republik Portugal und die Ehrenmitgliedschaft der Audio-Engineering Society Inc. New York ein. 1960 wurde das Warenzeichen „Grundig“ in saudi-arabischer Sprache angemeldet, 1967 ein Kooperationsvertrag mit Universal, Warschau, über den Nachbau von Grundig-Tonbandgeräten geschlossen, und 1971 ein weiterer Orden, die Medaille des Ministerrates der UdSSR, initiiert, als Max Grundig mit einer Gruppe deutscher Wirtschafler nach Moskau und Leningrad reiste und im Kreml von Ministerpräsident Alexej N. Kossygin empfangen wurde. Auch die Sowjets zeigten jetzt reges Interesse an dem Wirtschaftswundermann aus Franken. Schon fünf Monate später kam Professor Dscherman M. Gwischinai, der stellvertretende Vorsitzende des Staatskomitees für Wissenschaft und Technik zu Besuch nach Fürth, und Anfang Dezember bereisten elf sowjetrussische Experten verschiedene Grundig-Werke.
Längst ging Max Grundig der Ruf voraus, die Marktgesetze zu diktieren. Mit der ihm eigenen Robustheit setzte er auf die von ihm für richtig befundene Lex Grundig, die die Fachwelt das erste Mal 1961 zu spüren bekommen hatte. Da schob er alle bis dahin in der Branche heiligen Gepflogenheiten beiseite und stellte seine Radio- und Fernsehgeräte schon Monate vor dem üblichen Neuheiten-Termin vor - und das auch noch mit den üblichen Grundig-Dumpingpreisen. Der Verkaufsvorsprung für dieses Jahr war gesichert. „Wer bewußt den Zorn der gesamten Konkurrenz riskiert“, kommentierte die Westfälische Zeitung am 6. Mai 1961 den unglaublichen Tabubruch, „kann das nur tun, wenn er sich des längeren Atems gewiß ist. Ein Mann wie Grundig täte etwas Derartiges auch nicht um eitler Effekte der Selbstbespiegelung willen. Vielmehr hat er so etwas wie einen Erfolgsinstinkt, der ihm bislang noch stets zu Gebote war.“
So wenig die Marktmitbewerber mit dem „fränkischen Urgestein“ umzugehen wußten, so sehr sie über seine Eigenwilligkeiten zeterten, seinem Ansehen tat das keinen Abbruch. Für seine „bedeutenden Verdienste um das Wohl der Stadt und ihrer Mitbürger“ und seine großzügige Unterstützung öffentlicher und privater Wohlfahrtseinrichtungen machte ihn Fürth 1963 zum Ehrenbürger; zwei Jahre später erhielt er den Bayerischen Verdienstorden und im Februar 1967 die Ehrendoktorwürde der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen: „in Anerkennung seiner schöpferischen Leistung als Gründer und Leiter eines Unternehmens von internationaler Bedeutung und in Würdigung seiner großen Verdienste um die Entwicklung des fränkischen Wirtschaftsraumes“.
1968
Als der frischgekürte Doktor rer. pol. Honoris causa im Folgejahr seinen 60. Geburtstag feierte, war Nürnbergs großes Konzert- und Kongreßzentrum, die Meistersingerhalle, vonnöten, um die angesagten Gratulanten zu fassen. Nicht nur die Oberbürgermeister der Nachbarstädte Nürnberg und Fürth stiegen zur Laudatio auf die Bühne, auch der bayerische Wirtschaftsminister Dr. Otto Schedl und der damalige Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß waren angereist, um einen Mann zu würdigen, der inzwischen als unbestrittene Symbolfigur des deutschen Wirtschaftswunders galt.
Der ertrug solche Ehrungen als unumgängliches Übel. Auch als ihn seine Frau Annelie bewog, mit ihm zum Heiligen Vater Pius XII. nach Rom zu pilgern, war ihm das Presseaufsehen um die Audienz eher unangenehm. Der Situationsbericht, verfaßt von Gesellschaftsreporterin Lia Ave, war im Wochenblatt Der Hausfreund nachzulesen: „Max fährt sich ein paarmal über die vor Aufregung feuchte Stirn und sieht dabei voller Bewunderung auf seine schöne, blonde Frau, die ruhig und gefaßt dem großen Augenblick entgegenharrt. Der hohe Gastgeber lächelte die charmante Frau an, entließ mit einer Bitte die Begleitung, so daß nur das Ehepaar zurückblieb, holte aus einem benachbarten Zimmer eigenhändig zwei Rosenkränze, die er Max Grundig als besondere Auszeichnung überreichte.“
Derlei von der Presse beäugte, große gesellschaftliche Auftritte waren dem wenig wortgewandten Franken eher zuwider. Ging es nicht anders, zeigen ihn die dokumentierenden Fotos - ob 1956 mit dem damaligen Bundespräsidenten Heuss, 1960 mit der thailändischen Königin Sirikit oder später mit dem polnischen Ministerpräsidenten Cyrankiewicz - immer eher im Hintergrund.
Er wirkte in der Öffentlichkeit eher scheu und unsicher, glanzlos und spröde. Herzlichkeit fiel ihm schwer, Kontaktfreude war keine seiner Stärken. Presserummel schätzte er nur, wenn er der Publicity des Unternehmens nutzte. Repräsentationspflichten waren für ihn Fron, „und wenn er sich einer obligaten Party nicht entziehen konnte“, verriet Der Spiegel, „dann flüchtete er meistens unmittelbar darauf in ein unauffälliges Bürgerlokal, um sich dort derbe Hausmannskost - mit Vorliebe fränkischen Pressack oder Brathering - servieren zu lassen.“
Während andere Nutznießer des Nachkriegsaufschwungs vorführten, wie schön Gammeln ist, wenn es auf hohem Niveau betrieben wird, und die Reporter der Yellow Press mit immer neuen Skandälchen an den Nobelorten des neuen Reichtums beschäftigten, führte der bodenständige fränkische Industriemagnat seriösen Journalisten am liebsten seine „Versuchsküche“ vor. „Wer jemals den Vorzug genoß“, berichtete die angesehene deutsche Wochenzeitschrift Die Zeit über einen dieser Besichtigungstermine, „von Max Grundig in sein Allerheiligstes eingelassen und herumgeführt zu werden, der spürte, was den legendären Konzerngründer der Nachkriegszeit antreibt: Die Leidenschaft zu seinen Radios, Fernsehgeräten und Videorecordern. Kaufmännische Kälte gegenüber den elektronischen Kästen hat daneben keinen Platz. Grundig liebt alles, was seine Fabriken ausstoßen, bis zum letzten Drehknopf. Diese Passion ist so erotisch gefärbt wie das Verhältnis von Porschebesitzern zu ihrem fahrbaren Untersatz - nur hat Grundig stets viel mehr zum Streicheln und Bewundern gehabt.“
Und weiter: „Um die Objekte seiner Manie immer alle in seiner Nähe zu haben, brachte er sie - wie Haremsdamen - direkt neben seinem Chefbüro unter: Nicht nur was derzeit von den Bändern läuft, auch was morgen und übermorgen produziert werden sollte, war da auf so vielen Quadratmetern zu bestaunen, wie ein deutsches Einfamilienhaus mißt.“
Um sein Imperium, von seiner Passion zu immer neuen Höhenflügen angespornt, noch überschauen zu können, brauchte Max Grundig 1970 bereits eine Weltkarte. 21 Firmen, 19 Fabrikationsstätten, drei weitere im Bau, zwölf Niederlassungen und Vertriebsorganisationen im Inland, 34 insgesamt in Europa, 30 in Asien, 57 in Afrika, 22 in Australien, sieben in den USA, 60 in Lateinamerika. Um dort, wenn’s erforderlich war, vor Ort zu sein, hatte er sich einen zweistrahligen Jet, seine „Mystere“, angeschafft.
Auch hier blieb Grundig seinem Grundsatz treu, gegen den Strom zu schwimmen. Während die ersten Symptome einer beginnenden Rezession Angst und Schrecken verbreiteten, während das Wirtschaftswunder bröckelte, weil der Nachholbedarf gedeckt war und die Unsicherheit im Land wuchs, preschte Grundig, von dem allem scheinbar unbeeindruckt, nach vom und baute ein Werk der Superlative. Drei Fabriken, mit einer Investition von 72 Millionen Mark auf dem bereits 1961 erworbenen Mammutgelände errichtet, warfen täglich 600 neue Fernseher auf den angeblich gesättigten Markt. Auf einem eigenen Versandbahnhof mit 2,5 Kilometern Gleisanschluß wurden pro Tag 50 Waggons abgefertigt; fast vier Kilometer Straßen und 33.600 Quadratmeter Parkplätze wurden angelegt, für rund 900 der bald 10.000 in Langwasser Beschäftigten in zwei 16 geschossigen Hochhäusern Wohnungen bereitgestellt; Besuchern stand ein eigenes Filmstudio zur Verfügung. Die Branche, die andernorts bereits Absatzkrisen meldete, registrierte es kopfschüttelnd.
Doch noch in anderer Hinsicht wurde das Jahr 1970 zu einem Markstein der Firmengeschichte. Max Grundig, nun 62 Jahre alt, überlegte sich, wie er den Fortbestand seines Unternehmens, das sein Lebenswerk war, sichern konnte. Ohne direkte Erben, von der Notwendigkeit überzeugt, Firma und Familie trennen zu müssen, bot sich ihm als Idealform eine Grundig-Familienstiftung an. Die errichtete er am 22. Februar und meldete dazu am 12. März beim Amtsgericht Fürth den „Grundig-Familienverein“ an.
Die Stiftung nahm Max Grundigs Stelle als Alleininhaber ein, wurde damit gewissermaßen zum Konzernträger-Unternehmen, zur Holding, ausgestattet mit dem Betriebsvermögen der Grundig-Elektro-Mechanischen Fabrik als Grundstock und Geschäftsanteilen an der Firma Grundig-Werke GmbH. Das Grundkapital betrug 200 bis 250 Millionen Mark.
1970
Mil der Folge „Taxi nach Leipzig" beginnt die Reihe „Tatort" im Ersten Programm. Sie wird zu einer der erfolgreichsten Reihen im deutschen Fernsehen und gehört zu den meistwiederholten Programmen.
Am gleichen Tag, an dem das Vertragswerk unterzeichnet wurde, überraschte Max Grundig die Öffentlichkeit mit einem weiteren Entschluß: der Absicht, die Grundig-Gruppe am 1. April 1972 in eine AG umzuwandeln. Deren Aktien, sämtliche Gewinne und Verluste sollte die Stiftung übernehmen, um die Gewinne nach Abzug der Körperschaftssteuer wieder ins Unternehmen zurückzuführen. Die Grundig-Werke AG war damit die Muttergesellschaft aller in- und ausländischen Produktions- und Vertriebsstätten der Gruppe.
Nach dem Willen des Stifters wurde in der Satzung verankert, daß „der Fortbestand aller Grundig-Unternehmen mit Vorrang dauernd gesichert ist“. Alleiniger Vorstand auf Lebenszeit wurde Dr. Max Grundig. Solange er die Stiftung nach außen vertrat, hatte das siebenköpfige Kuratorium nur beratende Funktion. Die Stiftung sollte das Werk seiner Familie „erhalten“, und doch ihrer Verfügungsgewalt entziehen, indem sie es über alle privaten Wechselfälle hinweg sicherte.
Die Zukunftssicherung kam, so schien es zumindest, gerade rechtzeitig. Das Jahr 1970 stellte sich für die Unterhaltungselektronik als das schwierigste seit der Währungsreform heraus. Wie ein Schock wirkten die ersten Meldungen über Kurzarbeit, von der die Branche mit 60 Prozent am heftigsten betroffen war. Ein rabenschwarzes Szenario für die Elektronikindustrie malte auch der damalige Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl: „Aufgrund einer Absatzschwäche“ befürchtete er, daß die Kurzarbeit durch Massenentlassungen abgelöst werden könnte.
Auch der unerschütterliche Optimist Max Grundig mußte die wirtschaftlich veränderte Situation zumindest registrieren. Zwar stieg der Umsatz 1970 nochmals kräftig an, doch der Produktivitätszuwachs stagnierte und die Kosten explodierten. Die Konsumenten, durch die düsteren Prognosen verschreckt, übten sich von Monat zu Monat mehr in Abstinenz Bilanz für Grundig: außer Farbfernsehern, Autosupern, Tonband- und HiFi-Stereogeräten wollte nichts mehr so recht laufen wie ehedem. Daran konnten auch die attraktiven Neuerscheinungen - u.a. die Ultraschall-Fernbedienung „Tele-Dirigent“ für sieben TV-Programme, „Audiorama“, eine preiswerte Kugelbox mit zwölf Lautsprechersystemen, und die 110-Grad-Technik für Farbfernseher - wenig ändern.
Um Schlimmeres zu verhindern, sah sich Grundig gezwungen, in einzelnen Werken die Produktion zu drosseln und „durch Fluktuation freigewordene Stellen“ unbesetzt zu lassen. Ein schmerzlicher Einschnitt in die bis dato stetig wachsende Zuwachskurve, doch einer ohne bleibende Schäden. Noch war das Unternehmen mit einem Stammkapital von 180 Millionen Mark und einer Bilanzsumme von 1131 Millionen Mark gesund genug, um dem jetzt herrschenden kalten Wind die Stirn zu bieten. Fast sah es nach einem trotzigen „Jetzt erst recht“ aus, als Grundig im August 1971 bei der „1. Internationalen Funkausstellung“ in Berlin neben dem ersten Video-Cassetten-Recorder (VR 200) Color die ersten Farbfernseher mit Sensortechnik vorstellte und kurz darauf die ersten Radiogeräte mit „4-D-Stereo-Raumklangeinrichtung“ nachschob.
Die Form gewinnt an Gewicht: Mit dem modernen Design wird das Radio auch gleich zum „Musikgerät“ befördert
Der unerschrockene Widerstandskämpfer gegen die Wirtschaftsflaute rollte erneut die Fronten auf. Wie schaffte er es, wie ein Fels der Brandung zu trotzend Nicht nur die Spitzen der deutschen Politik zollten ihm Achtung, auch international war die Neugier geweckt. Minister und Botschafter aus Portugal, Großbritannien, Mexiko und der Türkei, aus der UdSSR, der CSSR, aus Polen und Rumänien ließen sich durch die Grundig- Werke führen, für die das Jahr 1972 gleich in mehrfacher Hinsicht den Sprung aus dem Absatzknick bedeutete: Mit der Super-Color-Serie, einem Markstein der TV-Geschichte, wurde ein neuer Verkaufshit gegen die Konsummüdigkeit gesetzt, die Berufung zum offiziellen Ausstatter der Olympischen Spiele in München brachte einen Mammutauftrag, und die bereits angekündigte Umwandlung in eine Aktiengesellschaft wurde nun vollzogen.
In einer Erklärung vom 22. März heißt es dazu: „Durch die Umwandlung wechselt nur die Rechtsform der Gesellschaft, es entsteht dabei kein neuer Rechtsträger. Der Vermögensstand wird durch die Umwandlung nicht berührt, das heißt, alle Forderungen und Verbindlichkeiten sowie alle Erträge der Grundig-Werke GmbH werden mit der Umwandlung Forderungen, Verbindlichkeiten und Verträge der Grundig-Aktiengesellschaft. Das Grundkapital der Aktiengesellschaft entspricht dem Stammkapital der Gesellschaft. Es beläuft sich zur Zeit auf 182,4 Millionen DM. Daran ist der Grundig-Familien-Verein e. V. mit Gesamtnennwert von 0,55 Millionen DM beteiligt. Alle übrigen Aktien gehören der Max Grundig-Stiftung. An einer vorgesehenen Kapitalerhöhung auf 200 Millionen werden sich Max Grundig-Stiftung, Grundig-Familien-Verein und einzelne Familienmitglieder beteiligen.“
Die Großen zu Gast: Max Grundig empfängt in Nürnberg Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard
Max Grundig war jetzt Aufsichtsratsvorsitzender der AG und Präsident der Stiftung in einer Person.
1972
Stiftung und Aktiengesellschaft waren zweifellos die bis dahin wichtigste Etappe in der packenden Geschichte des Unternehmens. Sie sollten das Lebenswerk Grundigs objektivieren. Vor den Interessen der Familie - die soweit am Gewinn der Gesellschaft beteiligt wurde, daß sie auch nach Grundig-Maßstäben „keine Not leiden“ mußte - rangierte das Unternehmen: Der größte Teil der Erträge wurde über die Stiftung, die sie als Dividende vereinnahmte, reinvestiert. „Es gehört großer Mut zu solch einer Regelung“, lobte sich Grundig selbst. Sein Modell für die Zukunftssicherung des Konzerns nahm auf familiäre Sentiments keine Rücksicht - was ihm, durchaus mit Familiensinn ausgestattet, nicht leicht gefallen sein dürfte. Ebensowenig wie die Überleitung des ichbezogenen Regiments in den Vorstand der AG.
Zunächst hatte er sogar noch einen Schritt weitergehen wollen und zu erkennen gegeben, kraft seiner Eigenschaft als Vorstand der Stiftung, die rund 94 Prozent des Kapitals der AG hielt, auf den Vorsitz im Aufsichtsrat zu verzichten und diesen Berthold Beitz, seinem langjährigen Freund und Berater, zu überlassen. Schließlich beugte er sich der Logik der Tatsachen: Beitz wurde Stellvertreter. Mit den anderen Aufsichtsräten - Exminister Otto Schedl, dem bisherigen Grundig-Generalbevollmächtigten Eugen Widmaier und dem Rechtsanwalt Adolf Helm - saß Beitz auch im Kuratorium. Dem gehörten ferner Grundigs Frau Annelie und sein Schwiegersohn Wilhelm Scheller an. Den Vorstand bildeten unter Leitung des neu verpflichteten Vorstandsvorsitzenden Hans Heinz Griesmeier der langjährige Cheftechniker Karl Richter für Produktion, Friedrich Lachner für Entwicklung, Scheller für Personal und Soziales sowie sechs stellvertretende Mitglieder.
Wenn man so wollte, bedeutete diese Konstruktion den Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie, den der Konzernherr allerdings selbst wieder einschränkte, indem er keinen Zweifel daran ließ, wie er seine Funktion weiterhin verstand: „Alles in allem möchte ich betonen“, teilte er der Presse mit, „daß sämtliche Maßnahmen für die Zukunft von mir in voller eigener Handlungsfreiheit geführt werden. Ich sehe auch keine Veranlassung, in den nächsten Jahren das Prinzip der persönlichen Entscheidungsfreiheit zu verlassen.“ Warum auch sollte er ? Die Zeichen standen auf Aufschwung. Der Olympia-Auftrag - allein das Organisations-Komitee orderte 8639 Grundig-Farbfemseher - kurbelte insbesondere das Geschäft mit Color-TV-Geräten kräftig an. In Langwasser erreichte die Tagesproduktion 1200 Apparate. Der Umsatz stieg im Inland um 25 Prozent, der Export um rund 50 Prozent, und die Produktion wurde um fast 20 Prozent gesteigert.
Technisch wurden die Grundig-Geräte konstant verbessert. Irritiert durch die Tatsache, daß er bei den Farbfernsehern anfangs nicht die gleiche gute Marktstellung hatte erobern können wie bei den Schwarzweiß-Empfängern, wo rund ein Fünftel aller in der Bundesrepublik verkauften Geräte aus seiner Produktion stammten, steckte der Dynamiker Grundig nun seinen geballten Ehrgeiz in die neuen Supercolor-Geräte. Daß er zäh und unerbittlich gegen Probleme im eigenen Haus anzukämpfen vermochte, hatte er im Lauf der Jahre bereits bewiesen - auch die Schwarzweiß-Geräte aus Fürth hatten zunächst nicht den allerbesten Ruf. Zur Marktführerschaft pushte er jetzt auch Super-Color.
„1972 wird unser Fernsehjahr“ klotzte die Grundig-Werbung und sollte recht behalten. Die Modultechnik revolutionierte die TV-Geräte-Herstellung und brachte bei attraktiven Preisen einen erheblichen technischen Fortschritt, von dem der Käufer profitierte; der erste deutsche Farbfemseh-Portable lief bei Grundig vom Band. Auf dem HiFi-Sektor sorgte die Quadrophonie-Welle für ein neues Hörerlebnis, bei den Autoradios die elektronische Störaustastung, später der elektronische Sendersuchlauf für ungetrübten Empfang, die „Stenocassette 30“ war weltweit die erste Diktiercassette mit eingebauter Minutenbandanzeige.
Grundig blieb in den krisengeschüttelten 70ern auf Expansionskurs. 1979 kommandierte er 31 Fabriken in Europa, davon neun im Ausland, acht Vertriebsgesellschaften, über 200 Niederlassungen auf allen fünf Kontinenten, und 38.460 Beschäftigte machten mehr als 2,7 Milliarden Jahresumsatz. Kaum einer hätte das für möglich gehalten, nachdem 1973 der Ölschock den Glauben an das immerwährende Wirtschaftswunder zum ersten Mal gründlich erschüttert hatte. Max Grundig hatte da bereits das Rentenalter erreicht. Doch aufhören war für ihn, der Jahrzehnte von der Offensive gelebt hatte, undenkbar. Im Gegenteil. Von morgens halb acht bis abends um sieben saß er an seinem Schreibtisch. Zum Feierabend ließ er sich - wie eh und je - die Entwürfe für neue Grundig-Apparate nach Hause bringen, die er dann eigenhändig, eigenäugig und eigenohrig testete, um am nächsten Morgen ganze Hundertschaften von Entwicklungsingenieuren damit zu beschäftigen, daß da noch ein Dekorleistchen angebracht wäre, dort die Bässe zu dünn geraten seien und das Blau bei irgendeiner Mattscheibe satter auszufallen habe.
1973
Denn so groß sein Talent war, veränderte Marktbedingungen und Konsumlücken zu erspüren, so wenig konnte er sich in seinen eigenen Gewohnheiten umstellen. Das Festhalten an alten Macher-Gepflogenheiten begann zur persönlichen Tragik zu werden, provozierte zunehmend auch Kritik an dem „ruppigen Alten“, der offensichtlich keinem zutraute, unkontrolliert Verantwortung zu übernehmen.
Ohne Rücksicht auf geänderte Bedingungen wollte er für alle Zukunft das Vorwort seiner Erfolgsstory „Man muß Herr im eigenen Haus sein“ ungefiltert festschreiben.
Es gab keine Kleinigkeit in seinem Unternehmen, über die er nicht Bescheid wußte, keine Disposition, die er nicht selbst traf. „Er kümmerte sich um den Ersatz für ausgeschiedene Putzfrauen“, kommentierte das die Süddeutsche Zeitung in einer Rückschau 1984, „wie um den Austausch reparaturbedürftiger Bürogeräte und kontrollierte per Telefon die Präsenz seiner Direktoren. Von derlei Kleinkram überlastet, spielte er oft mit dem Gedanken, ,nicht bis ans Lebensende zu schuften'. Doch sobald ein Nachfolger gefunden oder nur andeutungsweise gehandelt wurde, machte Max Grundig deutlich, wer ,Herr im Haus' ist.“ Und Die Zeit setzte nach: „Er hielt sich für unersetzbar.“
1976
Noch gab ihm der Erfolg recht - obwohl der Preisverfall im Kampf um die Kunden die Ertragslage immer mehr anspannte und die Kosten davonliefen. Während viele Elektronikhersteller sich bereits an rote Zahlen gewöhnen mußten, konnte Grundig es sich leisten, 40 Millionen DM in das erste deutsche Videorecorder-Werk in Nürnberg-Langwasser zu stecken, das am 12. Oktober 1978 eingeweiht wurde. Und es blieb nicht das einzige. Im selben Jahre kamen drei Betriebe in Barcelona dazu, für einen weiteren wurde in Fleurence/Frankreich der Grundstein gelegt, in Taiwan wurde eine Fabrik eröffnet, und das neue Werk Wien-Meidling der Grundig-Austria-GmbH, das Österreichs Bundespräsident Dr. Kirchschläger Mitte '77 höchstpersönlich eingeweiht hatte, produzierte Farbfernsehgeräte im großen Stil.
Die Stückzahlen erreichten immer neue Rekordhöhen. Im August 1975 wurde das 2.222.222ste Farbfernsehgerät gemeldet, im Juni 1976 rollte der 10.000.000ste Reisesuper vom Band. Im portugiesischen Braga feierte man im April 1979 das millionste Fernsehgerät und in Wien schon nach wenigen Monaten Produktionszeit das 200.000ste.
Doch nicht nur mit Quantität, auch mit Qualität machte Grundig von sich reden. Mit der Note „Sehr gut“ bedachte die „Stiftung Warentest“ den Weltempfänger „Satellit 100“, später den „3400“ und den „HiFi-Receiver R35“. Englands Königin Elizabeth II. verlieh dem nordirischen Grundig-Werk Dunmurry den „Queens Award to Industry“, und auf der Konsum-Gütermesse in Brünn im Mai 1977 errang der „Satellit 2100“ eine Goldmedaille. In Moskau hatte Grundig bereits bei der Ausstellung „Elektra 72“ Lorbeeren eingeheimst, und auch in New Yorks Unterwelt hatte es sich herumgesprochen, daß die Ware aus Fürth top war. Mitten in Manhattan kidnappten Gangster einen Lkw-Anhänger mit Grundig-Produkten, entführten ihn und raubten ihn bis auf die letzte Kiste aus.
Ein Apercu zum hohen Ansehen der Grundig-Qualität trug 1982 Eduard Rhein bei, als er Max Grundig in Düsseldorf den nach ihm benannten Eduard-Rhein-Ring verlieh - eine Auszeichnung, die weltweit nur an zehn lebende Männer vergeben wird, die sich um die Entwicklung des Fernsehens auf technischem, organisatorischem und wirtschaftlichem Gebiet besonders verdient gemacht haben. Rhein hatte Grundig bei einem Urlaub an der französischen Riviera kennengelernt und von ihm zum Abschied ein „bildhübsches, lustig zwitscherndes Kofferradio“ bekommen. „Wie konnte ich ahnen“, erinnerte er sich in seiner Laudatio, „daß Sie mir mit dieser gut gemeinten Geste ein Danaergeschenk hinterlassen hatten! Es musizierte so sauber und so lustig, daß meine Feriengäste es vom frühen Morgen bis in die azurblauen Sommernächte zwitschern ließen. Aber ... ich las damals gerade die 500 Umbruchseiten meines Romans ,Wie ein Sturmwind'. Kein Wunder, daß mich nun die reizende Musik des noch reizenderen Köfferchens langsam zur Verzweiflung brachte.“ Kurz: In einer unbeachteten Minute landete der Zauberkasten im Swimming Pool - in der Hoffnung, die Lärmquelle nun ein für alle Mal ausgeschaltet zu haben. Doch weit gefehlt. Am nächsten Tag wurde er vom Rest der Gesellschaft aus dem Becken gezogen, die Rückwand abgeschraubt, das Wasser ausgegossen, das Gerät getrocknet - „und nachmittags gegen fünf drang es dann wieder frisch und frech zu mir herauf. Wie es mir schien, noch frecher und lauter als vor dem nächdichen Vollbad.“
7. Grundig - Schnell geheuert, schnell gefeuert
Die Grundig-Geräte schienen ebenso unverwüstlich wie ihr Namensgeber, der 1978, zu seinem 70. Geburtstag, neben allen anderen Attacken auch die seines rebellierenden Körpers überwunden zu haben schien. Die Diagnose lautete auf „späte Röntgenschäden“. Haut, Knochen und Gelenke waren in Mitleidenschaft gezogen. Internationale Kapazitäten in Budapest, New York und Paris wurden zu Rate gezogen, Spezialisten in München und Stockholm versuchten ihr Glück. Laserbestrahlungen, Hautverpflanzungen - das Ergebnis war wenig befriedigend. Eine Tatsache, die der alte Konsul jedoch, sobald es ihm etwas besser ging, negierte, bis ihn die konstante Verschlechterung auf den Operationstisch zwang. Anfang 1979 wurde ihm in der Münchner Klinik „Rechts der Isar“ das rechte Kniegelenk entfernt. Um das Bein zu retten, wurden die Knochen von Ober- und Unterschenkel verbunden - mit einer sieben Kilo schweren Eisenklammer, die der „eiserne Max“ drei Monate lang erdulden mußte. Doch noch im Rollstuhl, unter heftigem Protest seiner Ärzte, nahm der uneinsichtige Patient die Arbeit wieder auf. Zum Erholen hatte er angeblich keine Zeit. Er mußte, wie er versicherte, schnellstmöglich wieder seinen Platz auf der Kommandobrücke seines Unternehmens einnehmen.
Da überraschte er just zu seinem Siebzigsten mit der „Grundig Akademie für Wirtschaft und Technik“, für die er 30 Millionen Mark spendete. Hier, in einem eigens dafür errichteten Gebäude in Langwasser, sollten „Fach- und Führungskräfte, Ausbilder sowie begabte Nachwuchskräfte und Mitarbeiter durch Fortbildung gefördert, das berufliche Wissen von Führungskräften auf europäische und weltweite Notwendigkeiten ausgerichtet, begabten Mitarbeitern nach Ausbildung und Bewährung durch Stipendien die Chance gegeben werden, ein Universitäts-, Hoch- oder Fachschulstudium zu absolvieren und abzuschließen sowie Kontakte zu allen Institutionen hergestellt werden, die sich die geistige und berufliche Fortbildung der im Wirtschaftsleben Tätigen zum Ziel gesetzt haben.“
Den Nachwuchs nach dem eigenen Bild formen: Max Grundig bei der Eröffnung der Grundig-Akademie
Qualifizierte Facharbeiter konnten in der Akademie über den zweiten Bildungsweg zum Ingenieur ausgebildet werden - ein Angebot, das auf breite Resonanz stieß. Vom ersten Tag an waren die Kurse ausgebucht. Für Max Grundig selbst wurde die Akademie zur Manifestation einer lebenslangen Pflichterfüllung. „Für mich gilt, und ich lebe seit Jahrzehnten danach“, sagte er in seiner Festrede zur Gründung, „daß man von niemandem etwas verlangen sollte, was man nicht selbst zu tun bereit und fähig wäre.“
Der Geburtstag war auch für die Medien Anlaß, den „Geld- und Machtmenschen“ aus Fürth, der in den Pionierjahren des Konzerns ein Musterknabe der Publizität gewesen war, sich später aber eher abstinent verhielt und somit dem Image der eigenen Person geschadet hatte, vors Mikrophon zu bitten. In einem Spiegel-Interview befragt, warum er als einziger Großunternehmer der Gründergeneration übriggeblieben sei, hatte Max Grundig eine ebenso knappe wie klare Antwort: „Ein wesentlicher Grund unseres Erfolges ist, daß seit 40 Jahren jeder Pfennig, den diese Firma erwirtschaftet, wieder in die Firma investiert wird. Wir konnten uns teure Entwicklungsarbeit leisten, weil wir keine Dividende und keine Kapitalzinsen an die Bank zu zahlen haben. Und außerdem: Vielleicht habe ich mit meinem Vermögen besser gehaushaltet und härter gearbeitet.“
Das Credo eines Selfmademan, der auf unbedingten Markt- und Machtzuwachs programmiert war. Der allerdings wurde jetzt Ende der 70er Jahre erstmals in Frage gestellt. Billig-Importe aus Japan drängten auf den Markt, aus Fernost kamen Recorder, HiFi-Geräte und tragbare Fernseher zu Preisen, zu denen Grundig mit seiner Mercedes-Bauweise nicht einmal produzieren, geschweige denn daran verdienen konnte. Zudem operierte der robust-patriarchalische Konzern-Chef in Personalfragen auch im eigenen Haus zunehmend glücklos.
Wenig schmeichelhaft waren insbesondere die Schlagzeilen über die lange Reihe potentieller Nachfolger, die es nie sehr lange im Hause Grundig aushielten. Prominente Manager wie Hans Heinz Griesmeier, Josef A. Stoffels, Kurt W. Hackel und Horst Rosenbaum gaben sich nach mehr oder minder langen Gastspielen die Klinke in die Hand, um dann zumeist bei anderen, nicht weniger prominenten Unternehmen zu landen. Hackel bei Pelikan, Rosenbaum bei Kienzle, Stoffels bei AEG-Telefunken. Starrsinn und Herrschsucht eines alternden Unternehmers, der die Macht auch mit 70 noch nicht abgeben wollte, wie die Presse mutmaßte? Oder zu frühzeitiges Scharren der Kronprinzen in den Startlöchem, wie der Angegriffene über seinen Berater Ludwig Poullain verlautbaren ließi „Während sie nach oben drängten“, erklärte der Ex-Chef der Westdeutschen Landesbank die eigentliche Konfliktsituation zwischen Max Grundig und seinen „Nachfolgern“, „sah er sich noch nicht in der Lage, die Führung des Unternehmens aus seinen Händen zu geben.“
Fest steht: Das Heuern und Feuern von insgesamt acht Spitzenleuten in Vorstandspositionen und der damit verbundene Zickzackkurs wirkten sich auch auf den nächsten Ebenen verhängnisvoll aus. Ein Teufelskreis. Während Grundigs Trotz geweckt war und er etwaige Kritiker barsch beschied: „Ich darf doch wohl in meinem Unternehmen arbeiten, wie ich es will“, wurden seine Entscheidungen für viele unverständlich. Die Zweifel an seinem Führungsstil wuchsen. Der ging inzwischen soweit, daß er selbst alle Geschäftsreisen der Mitarbeiter mit einem roten Genehmigungsmonogramm „G“ versah, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. „Wer es nicht hatte und sich ,unerlaubt von der Truppe entfernte', riskierte die Kündigung. Um die Position nicht zu gefährden und die Pensionsgrenze unbeschadet zu erreichen, duckten sich die im Haus oft aus der Meisterebene aufgestiegenen Manager und schwiegen. ,Widerspruch gegen Entscheidungen von Max Grundig habe ich nie erlebt', sagen altgediente Grundig-Mitarbeiter.“ Und die renommierte Zeit, die dem Fürther Patriarchen durchaus wohlgesonnen war, stieß ins gleiche Hom: „Schwankend zwischen Lähmung und hektischer Betriebsamkeit, war kaum noch jemand in der Lage, solide Arbeit für das Unternehmen zu leisten - von langfristigen strategischen Planungen ganz zu schweigen.“
Bedrängt an allen Fronten, dem japanischen Druck ebenso ausgesetzt wie dem Vorwurf einer „chaotischen Personalpolitik“, ging Max Grundig den einzig gangbaren Weg: Er suchte sich einen starken Verbündeten und fand ihn im europäischen Marktführer Philips. Im Herbst 1979 schlossen Grundig und Philips einen Vertrag über die Zusammenarbeit bei der Videoproduktion. Durch eine Überkreuz-Verflechtung beteiligte sich der Philips-Konzern mit 24,5 Prozent am Kapital der Grundig AG, während Max Grundig sechs Prozent des Philips-Kapitals übernahm und damit größter Einzelaktionär des holländischen Multis wurde.
Eine Verbindung mit den Holländern hatte Max Grundig bereits 1971 einmal angedacht, als ihm seine angeschlagene Gesundheit zu schaffen machte. „Ich bin überzeugt, daß in einiger Zeit Konzentrationen in dieser Branche stattfinden werden“, hatte er damals geäußert, doch seine grundsätzliche Bereitschaft zu einer Kooperation postwendend wieder eingeschränkt: „Ich kann mir jetzt noch keinen Anzug schneidern, weil ich noch wachse.“ Wenig später hatte er dann, sich der eigenen Stärke bewußt, die Debatte endgültig beendet: „Ich bleibe hundertprozentig allein. Ich habe bisher kein Angebot erhalten, das mich interessiert hätte. Wenn einer bei mir zum Zug kommen will, muß er etwas mitbringen.“ Immerhin vermuteten Branchenkenner, daß Grundigs Verhandlungen 1971 bereits recht weit gediehen waren. Daß es nicht dazu gekommen war, lag wohl vor allem daran, daß es noch keine zwingenden finanziellen Gründe gegeben hatte. Grundig hatte in der Branche eine solche Größe erreicht, daß mit der ebenbürtigen Konkurrenz eine Art „Patt“ entstanden war.
Das allerdings war acht Jahre später durch die japanischen Preiskiller, von dem alten Patriarchen lange in ihrer Durchschlagskraft unterschätzt und als „reine Legende“ vom Tisch gewischt, gründlich aus dem Gleichgewicht geraten. In Millionenauflage überschwemmten die Billigimporte den Markt wie der biblische Heuschreckenschwarm und hinterließen nur kahle Felder.
Während die Amerikaner bald kapitulierten, wollte es Grundig, dem Philips den Rücken stärkte, sich selbst und anderen noch einmal beweisen. Mit Wut im Bauch mußte er zusehen, wie seine europäischen Konkurrenten dazu übergingen, die Geräte nicht mehr selber zu produzieren, sondern sie gleich in Fernost zu kaufen, um nur noch ihren Markennamen auf die Gehäuse zu schmuggeln. „Das sind die trojanischen Pferde der japanischen Industrie“, wetterte der aufrechte Franke.
Mit dem Stolz des Unternehmers, der unverbrüchlich daran glaubte, daß Qualität sich letztendlich durchsetzen mußte, sagte er Nippon den Kampf an. Sein Schlachtruf hieß „Video 2000“, das progressivste aller Aufzeichnungssysteme mit den Spitzengeräten 2x4 Super und 2x4 Stereo. Die Produktion, in Langwasser im großen Stil angekurbelt, verlief nicht ohne Pannen. „Da wird mehr repariert als gefertigt“, wurde gemunkelt. „Alles Krampf“, entrüstete sich Max Grundig. „Von der Technologie her ist unser System allen anderen überlegen. Alle Testergebnisse beweisen das.“
Die Technik wird immer komplizierter: Blick in die Werksanlage
Öffentlich prangerte er jetzt auch die „Scheinheiligen“ der Branche an: „Der Erfolg der Japaner hegt nicht an ihrer besseren Qualität. Es sind die hohen Stückzahlen, die sie auf einem von ihnen beherrschten amerikanischen Markt unterbringen. Und die sie mit Hilfe von europäischen Importeuren in Europa plazieren können ... Man spricht immer von der japanischen Gefahr. Diese wäre dann keine, wenn die Japaner sich in Europa auf eine eigene Vertriebsorganisation stützen müßten. Der größte Teil der japanischen Produkte wird über Firmen mit so stolzen Namen wie Thomson-Brandt, Saba, Blaupunkt - um nur einige zu nennen - vertrieben. “
Doch noch war Grundig für das eigene Haus zuversichtlich. Weltweit konnte der Partner Philips einiges an Vertriebs-Know-how einbringen, was insbesondere auf dem US-Markt genutzt werden sollte. Unter diesem Aspekt wurden denn auch die Unternehmensziele für die 80er Jahre postuliert: in einem Drei-Jahres-Programm den Forschungs- und Entwicklungssektor mit einer Milliarde Mark zu pushen, die Produktplanung noch stärker auf „Internationalisierung'' auszurichten und 50 Prozent der Sachinvestitionen in den nächsten Jahren für die Einführung neuer Fertigungstechniken aufzuwenden. Damit sollten die Herstellungskosten vermindert, die Qualität verbessert und fortlaufend günstige Marktpreise ermöglicht werden.
Das Konzept schien aufzugehen. Nachdem der Konzern 1980 tief in die roten Zahlen gerutscht war - die Süddeutsche Zeitung sprach von 145 Millionen Mark Verlust -, elf seiner Werke schließen und die gerade erst erhöhte Belegschaft um 5000 auf knapp 31.000 zurückfahren mußte, lauteten die Schlagzeilen 1982: „Grundig wieder auf Erfolgskurs.“ Der Fehlbetrag war auf 13 Millionen reduziert, 700 der abgebauten Stellen wurden wieder besetzt, die Bilanz belief sich auf annähernd drei Milliarden Mark, der Export lag bei über 50 Prozent.
Doch es sollte sich als Scheinsieg erweisen. Vor allem der Videomarkt war nicht mehr zu retten. Die euphorisch disponierte Produktion wurde nicht wie erwünscht abgesetzt. Obwohl das Grundig-Philips-System, selbst für Laien mit bloßem Auge erkennbar, die bessere Bildwiedergabe hatte, verlor die fränkisch-holländische Phalanx die viele hundert Millionen Mark teure Entwicklungsschlacht nach kurzem Aufbäumen gegen das preiswertere VHS-System aus Japan. Denn man hatte eine entscheidende „Kleinigkeit“ übersehen: Es fehlte an der nötigen Software. Während für VHS vor allem die rege geforderten Pornos ingroßen Stückzahlen Vorlagen, war für das Grundig-System außer ein paar Western, dem Lieblingsgenre des alten Max, nichts geboten.
Selbst der kampferprobte Haudegen Grundig schien kurzfristig ratlos. Wie sollte man der Malaise beikommen?- An der Menge lag es nicht. Verkauf und Umsatz stiegen, aber der Ertrag wurde immer schmäler. Die Zahlungsmoral fiel in den Keller, das hohe Zinsniveau drückte die Bilanzen, die Zinskosten machten bereits zwei Prozent des Umsatzes aus, das Material wurde teurer und die Löhne kletterten weiter.
Zudem entwickelte sich die Mikroelektronik in einem atemberaubenden Tempo und führte zu einem tiefgreifenden Strukturwandel: weniger und kleinere Bauteile, kürzere Fertigungszeiten, einfachere Herstellung und mehr Automatik machten manuelle Funktionen und damit Arbeitsplätze überflüssig. „Und mit dem Verlust von zu vielen Arbeitsplätzen“, erkannte Max Grundig richtig, „und damit von Arbeitseinkommen geht auch die Kaufkraft vieler Kunden verloren, die schließlich die Konsumgüter kaufen sollen.“ Ein Problem, das sich den Japanern so nicht stellte. Ihre junge Industrie war bereits mit der neuen Technologie erwachsen geworden.
Die europäischen Fabriken hingegen, obendrein von Kostensteigerungen und hohen Soziallasten gebeutelt, mußten sich erst umstellen, wobei es wie Hohn klang, daß die Vorläufer dieser Entwicklung, elektronische Großrechenanlagen, in Deutschland erfunden und exportiert worden waren. Dazu verschafften ein niedriges Lohnniveau, ein unkomplizierter Umgang mit Arbeitsplätzen nach dem Prinzip „Hire and Fire" und der Wegfall aller Lohnnebenkosten durch das nicht existierende soziale Netz den Japanern einen Vorsprung, der uneinholbar schien.
Das Weltunternehmen Grundig geriet unübersehbar ins Schlingern, weil - wie das ein Jahr später der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß formulieren sollte - „ausländische Massen- und Billigprodukte ohne ausreichende Garantieleistung, ohne zuverlässiges Serviceangebot und vielfach von minderem Wert“ den Markt überschwemmten.
1978
Doch kapitulieren wollte Max Grundig, der inzwischen von der Spitze des Aufsichtsrats zurückgetreten war und diesen Berthold Beitz überlassen hatte, noch lange nicht. Er fühle sich, ließ er den Spiegel wissen, in seiner Rolle als Unternehmer „noch verdammt wohl“. Seinen ganzen Ehrgeiz, sein ganzes Kämpferherz investierte er jetzt in das große Anliegen, einen Ausweg zu finden. Nicht immer hatte er dabei Fortune. Ein neuartiges Depot-Vertriebssystem etwa sollte den Absatz steigern - es erwies sich als totaler Flop. Der teuerste Mißgriff, den sich Grundig - wie üblich in einer einsamen Entscheidung - in dieser Zeit leistete. Er krempelte radikal seinen gesamten Inlandsvertrieb um, indem er alle Händler zu bloßen Agenten degradierte, freilich ohne die tiefgreifenden Konsequenzen zu bedenken.
Erst als das Fiasko für die Grundig-Kasse unübersehbar war, gab er Gegenbefehl. Ebenso hastig wie er es kreiert hatte, beerdigte er sein Depot-Vertriebssystem wieder.
Die Presse registrierte es höhnisch bis fingerhebend. „Aus dem einst hochprofitablen Paradeunternehmen“, kommentierte etwa Die Zeit den Fehlgriff, „das Grundig in drei Jahrzehnten aufbaute, ist längst ein Problemkonzern geworden. Das FJauptproblem: sein Gründer selbst.“ Auch andere Blätter, an dem einsamen Wolf in Fürth, der Publicity so völlig ablehnte, umso heißer interessiert, beteiligten sich vehement an der Ursachensuche im Schuldregister. Von „unseriösen Buchhaltertricks zur Verschönerung der Bilanzen“ war die Rede, der Ruf nach dem Thronverzicht wurde immer lauter.
Max Grundig dachte nicht daran. Obwohl gesundheitlich noch immer angeschlagen, wollte er sich der Herausforderung stellen. Und er fand, Visionär, der er immer war, einen Weg - den besten, wie er überzeugt war. Er hieß EURO, eine Einheitsfront der europäischen Unterhaltungsindustrie gegen die Japaner. Einen produktionsstarken Europa-Pool stellte er sich vor, mit hohen Kapazitäten und einem gemeinsamen Vertriebssystem, um verlorenen Boden zurückzuerobern und das Gleichgewicht mit der fernöstlichen Konkurrenz herzustellen. Alles in allem, einen europäischen Verbund, um zu überleben. Darin sah er das Patentrezept. Europas Unterhaltungselektronik vor einem ähnlichen Debakel wie dem der Fotoindustrie bewahren zu können. So waren gefährdete Arbeitsplätze zu retten, Betriebe vor dem drohenden Konkurs zu sichern. „Wir müssen aufhören“, kam die Forderung aus Fürth ins europäische Ausland, „kleinstaatlich zu denken. Wir müssen gemeinsam agieren, gemeinsam produzieren, gemeinsam vermarkten.
Wenn wir nicht die Vereinigten Staaten von Europa bekommen, und zwar wirtschaftlich, dann gehen wir unter als Wirtschaftsmacht, dann beherrschen in einem Jahrzehnt die Japaner die Welt. Mit seinem EURO-Konzept bewies der vielgescholtene Altindustrielle noch einmal seine Größe. Wie so oft in seinem Leben, dachte er voraus, erkannte mit klarem Blick die Herausforderungen der Zukunft. Um sie zu bewältigen, aktivierte er noch einmal alle Kräfte, sprang über sämtliche Schatten. Der Medien- und Publicityfeind, der jede Rede gescheut hatte, schwang sich auf zum Prediger für die Sache Europas. Unzensiert und ungebremst formulierte der „Alleinherrscher“, in diesem Punkt gegenüber anderen Führungskräften im Vorteil, seine Strategie gegen die japanische Gefahr. Sie ruhte auf drei Säulen:
1. Größere Stückzahlen und rationellere Produktionsmethoden, um preiswerter anbieten zu können;
2. weitere Verbesserung der ohnehin schon hohen technischen Qualität;
3. umfassendere Vermarktung, also vereinfachter Vertrieb. Das alles zusammen berücksichtigt, hatte er kalkuliert, könne jedes Fernsehgerät 40 DM weniger kosten, das wären bei vier Millionen Apparaten 160 Millionen DM Einsparung. Mit dieser Keule, sagte sich Max Grundig, können wir Fernost in Schach halten.
Bei Video nicht auf das richtige Pferd gesetzt: Max Grundig bei einer Rede 1979
Um dieses Ziel durchzudrücken, hielt er im Namen der gesamten europäischen Wirtschaft, zu deren Sprecher er sich kurzerhand ernannt hatte, bei einer Round-Table-Konferenz mit europäischen und japanischen Industriellen am 1. Oktober 1982 in Brüssel eine flammende Rede, die es - ob der Weitsicht ihrer Gedanken - wert ist, in ihrer Gänze zitiert zu werden.
„Ich bin kein Fürsprecher für Regelungen wirtschaftlicher Angelegenheiten durch Zölle und Steuern. Ich bin ein leidenschaftlicher Vertreter der freien Marktwirtschaft. Aber diese Marktwirtschaft unterliegt bestimmten Voraussetzungen und verlangt die Einhaltung bestimmter Spielregeln. Mit Interesse habe ich gelesen, daß es einfach ein Ding der Unmöglichkeit sei, die in Jahrzehnten gewachsene japanische Wirtschaftsstruktur von heute auf morgen zu ändern. Ich habe für diese Haltung Verständnis, bitte aber ebenso um Verständnis, daß wir es genauso wenig zulassen können, wenn innerhalb der Europäischen Gemeinschaft japanische Maßnahmen unsere Wirtschaftsstruktur tiefgreifend ändern.
Wir sind nicht bereit, zuzusehen, wie unsere Märkte, teilweise durch Dumping-Methoden oder Preiskämpfe, etwa auf dem Videorecorder-Markt, vernichtet werden. Wenn bei einem Weltbedarf im Jahr 1982 von rund zehn Millionen Videorecordem allein in Japan fast 16 Millionen produziert werden sollen, dann bedarf es keiner weiteren Kommentare. Wir müssen und werden in Europa Maßnahmen ergreifen, um die wirtschaftliche Existenz unserer Unternehmen zu sichern und das ständige Ansteigen der Zahl der arbeitslosen Menschen von heute 12 Millionen und morgen vielleicht 15 Millionen zu bremsen. Wir müssen und werden uns innerhalb Europas zu Kooperationen zusammenfinden. Innerhalb eines solchen Verbundes sind wir in der Lage, in Europa bis zu zehn Milliarden DM im Jahr auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik zu vermarkten.
Wir werden, genau wie in Japan, gezwungen, rationellere Fertigungen und Arbeitsmethoden einzuführen. Unsere Fabriken werden weiter automatisiert. Dies gilt nicht nur für Fertiggeräte, sondern auch für Halbteile und Bauelemente. Wir müssen dies tun, damit wir gegen die Importflut der ganzen Welt, die auf den europäischen Markt drängt, und die sich insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland austobt, von der technologischen und wirtschaftlichen Seite gewappnet sind. Wir sind bereit, uns zu arrangieren, zum Beispiel über Technologie und Produkte und vieles andere mehr. Ich gebe aber dabei zu bedenken, daß unsere europäischen Unternehmen dasselbe Recht haben, zu überleben, wie die japanischen Gesellschaften. Unsere europäischen Arbeitnehmer haben dasselbe Recht auf ihren Arbeitsplatz wie die japanischen Arbeitnehmer.
Wir kennen in Europa ein anderes Kostenniveau als in Japan. Wir haben neben unseren Lohnkosten genauso hohe Lohnnebenkosten, die dadurch entstanden sind, daß wir unseren Beschäftigten umfassendere soziale Sicherungen und Leistungen bieten als sie in Japan bekannt sind. Die Aufwendungen unserer Unternehmen für diese Leistungen sind fast in derselben Größenordnung wie der Lohn selbst. Diese Leistungen wiederum schaffen einen bedeutenden Anteil der Kaufkraft von 270 Millionen Menschen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Diese Kaufkraft wird nun zu einem großen Teil abgeschöpft durch Produkte, die unter anderen Kostenverhältnissen hergestellt werden. Wir sind gezwungen, uns dagegen zu wehren. Die gesamte europäische Industrie ist mit mir sicher einig, wenn ich behaupte, zwölf oder 15 Millionen Arbeitslose sind mehr als genug. Unsere guten Fabriken sind genauso leistungsfähig wie die guten Japans. Unsere Produkte erfüllen die Verbraucheransprüche genauso wie die japanischen und unsere Technik ist genauso gut wie die japanische.“
1979
Die monatlichen Gebühren für Rundfunk und Fernsehen werden erhöht. Es müssen nun insgesamt 13 Mark bezahlt werden, von denen 3,80 Mark auf Hörfunk und 9,20 Mark auf Fernsehen entfallen. Bei der Presse stieß der alte Konsul mit der offenbar nie versiegenden Energie überwiegend offene Türen ein. „Wer überleben will“, bestätigte die Nürnberger Zeitung den Vorstoß Max Grundigs, „und die Zukunftssicherung wird für viele Europäer mehr eine Frage der Existenz denn der großen Gewinne sein, braucht die Unterstützung der Partner. Auch wenn diese Parmer vor der Haustür als Konkurrent dastehen. Denn ob es sich um Gegner oder Mitstreiter handelt, ist eine Frage des Horizonts. Den zu erweitern, betrachtet Max Grundig als seine Aufgabe.“
Der beließ es nicht bei Worten. Er machte sich auf die Suche nach geeigneten Partnern, klopfte zunächst bei den deutschen Branchen-Kollegen an. Das Ergebnis war niederschmetternd. So ungehört wie sein Ruf nach einer Kontingentierung japanischer Importe verhallt war, so wenig wollte man nun einsehen, daß nur Gemeinsamkeit stark machen konnte. Bosch-Blaupunkt und die deutschen ITT-Statthalter waren lediglich an Kooperationen, nicht jedoch an einem Verbund unter der von Grundig gewünschten Vorherrschaft interessiert. Am Ende blieb nur die bittere Einsicht, daß der Prophet im eigenen Lande nichts gilt.
Die Konsequenz war, seine Bemühungen auf das europäische Ausland auszudehnen. Grundig-Berater Ludwig Poullain, als Unterhändler unterwegs, fand den geeigneten Partner jenseits des Rheins. Der französische Staatskonzern Thomson-Brandt suchte technisches Know-how und war bereit, in die gebotene Hand einzuschlagen. Damit kündigte sich eine mächtige Allianz an, denn Thomson-Brandt gehörten schon die deutschen Firmen Saba, Nordmende und Dual.
Die Gigantenhochzeit erregte öffentliches Aufsehen. Unter der Überschrift „Wenig Verständnis“ gab Der Spiegel am 2. November 1982 das Statement ab: „Max Grundig gibt auf. Der wichtigste deutsche Fem- sehgeräte-Hersteller verkauft sein Unternehmen an einen französischen Konzern.“ Die Zeit schloß sich an: „Wenn die Grundig-Gruppe sich heute in die Arme eines noch größeren flüchten muß, dann liegt dies auch an Fehlentscheidungen, verpaßten Marktchancen und einem nicht mehr zeitgemäßen Führungsstil. Grundig hat es nicht geschafft, fähige Manager um sich zu versammeln und im Unternehmen zu halten, denen er heute die Verantwortung übertragen könnte. Dafür überträgt er sie nun ausgerechnet einem französischen Staatskonzern, dessen Politik von den Intentionen einer sozialistischen Regierung bestimmt wird, die zur Zeit gewiß größere Sorgen hat als die Erhaltung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Eine feine Art, sich von langjährigen Mitarbeitern zu verabschieden?“
Freund und Helfer durch all die Jahre: Max Grundig mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß
Ungeachtet solcher Medienreaktionen wurden die Verhandlungen fortgeführt. Daß die Franzosen nicht an einer schlichten Kooperation oder Minderheitsbeteiligung interessiert waren, stellte sich bald heraus. Sie wollten die Führung auf dem europäischen Fernsehgerätemarkt und daher die Kontrolle bei Grundig. „Aus gutem Grund“, kommentierte wiederum Der Spiegel, der nun wöchentlich zu dem Geschehen Stellung nahm. „In den vergangenen Jahren konnten sie mit ansehen, wie wenig kooperativ Grundig mit seinem Großaktionär Philips umging und wie er immer wieder die Partner in Eindhoven mit seiner sprunghaften Management- und Produktpolitik verärgerte.“
Wie auch immer - um von seinem EURO-Konzept zu retten, was zu retten war, und wohl auch weil die Kapitalreserven der Firma durch die von den Japanern diktierten Niedrigpreise bedrohlich angezapft waren, gab sich der ruppige Despot ungewohnt konziliant, scheute auch vor persönlichen Opfern nicht zurück. „Ich kenne mich“, gab er zu verstehen, „ich bin ein bißchen ein Choleriker, und wenn mir dauernd einer reinredet, ist der größte Krach da.“ Also war er bereit, sich ganz zurückzuziehen, und den Franzosen nicht nur den Vorstandsvorsitz und die wichtigsten Chefposten, sondern auch 75 Prozent Anteile zuzugestehen - 24,5 Prozent hielt ohnehin Philips.
Das bedeutete: Grundig ohne Grundig, der sich bereits anschickte, den Rückzug anzutreten und sich mit seinem engsten Stab im vierten Stock seines an das Für- ther Verwaltungsgebäude angrenzenden Bankhauses ein Refugium einrichtete, um „sein Kind“ nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Denn, erinnerte er sich später, „genauso war mir zumute: als wenn ich ein eigenes Kind verkaufe. Und es war mir klar: Wenn ich hier rausgehe, heule ich wie ein Schloßhund.“
1980
Im Raum Düsseldorf und in Berlin beginnen erste Feldversuche mit dem Medium Bildschirmtext. Daraus entwickelt sich später der Internet-Dienst T-Online. ARD und ZDF starten Videotext. Längst hatte die Presse die Vorgänge in Fürth zu einer Sache öffentlichen Interesses gemacht. So entging ihr auch nicht, daß Alain Gomez, der Chef von Thomson-Brandt, höchstpersönlich in Fürth erschien und nach offensichtlicher Einigung, noch am selben Abend im Grundig-Privatjet nach Paris zurückflog. Dort legte er bereits am nächsten Morgen dem französischen Innenminister Jean-Pierre Chevenement die Absichtserklärung vor, wonach Thomson 75 Prozent der Grundig-Anteile zum Preis von knapp einer Milliarde Mark übernehmen wollte. Das Einverständnis Chevenements, in den Pariser Zeitungen als eine historische Entscheidung gefeiert, die ganz Europa unter der Führung Frankreichs vor der japanischen Elektroflut rette, war auch für Grundig der Startschuß zu einer offiziellen Stellungnahme: „Manchmal geht es schneller als man denkt“, hieß es in einer Pressemitteilung, die am 18. November 1982 auf die Redaktionstische flatterte, umgehend einen Sturm der Entrüstung entfachte und im Vorwurf eines „Ausverkaufs nationaler Interessen“ - so der Branchendienst „markt intern“ - gipfelte.
Die Befürchtungen waren nicht ganz unbegründet. In der Tat wäre Thomson-Brandt mit der Grundig-Übernähme mit einem Schlag zum größten Anbieter von Fernseh- und Videogeräten in Europa geworden. Im Weltmaßstab hätte das Unternehmen, das bis dahin mit 130.000 Mitarbeitern rund 16 Milliarden Mark umsetzte, dann an vierter Stelle hinter Philips und den Japanern Matsushita und Hitachi gestanden. Die weitverzweigte Unternehmensgruppe sollte nach dem Willen der französischen Regierung mit einer Investitionshilfe von 20 Milliarden Mark innerhalb von fünf Jahren zum Kernstück der französischen Elektroindustrie ausgebaut werden. Gerade in der Unterhaltungselektronik jedoch war Thomson auf dem internationalen TV-Markt ins Abseits geraten, weil die Regierung dem Konzern das nationale Secam-System fürs Farbfernsehen aufgezwungen hatte, während in den meisten anderen Ländern der Welt das Pal-System galt. Gegen den Ansturm der japanischen Konkurrenz konnten sich die Franzosen nur mit Schutzzöllen und administrativen Hemmnissen schützen.
Ohne Zugriff auf deutsches oder japanisches Know-how, das wußten sie, würden sie ihr Ziel, eine Vormachtstellung zu erobern, kaum erreichen. Deshalb übernahmen sie zunächst kleinere Firmen wie Nordmende (1977), Saba (1980), vom kränkelnden AEG-Konzern die Ulmer Bildröhrenfabrik Videocolor und vom Schwarzwälder Familienunternehmen Steidinger die größte europäische Plattenspielerfirma Dual. Was dort geschehen war, hatte den Franzosen das Prädikat eines „Retters mit üblem Ruf“ eingebracht. Die Fälle wurden jetzt in der Presse ausführlich zitiert. Bei Videocolor etwa hatten die Techniker eine Fernsehröhre entwickelt, die den bei Thomson gebauten Mattscheiben weit überlegen war. Nachdem die Ulmer Techniker auch die Thomson-Röhren verbessert hatten, wurde das deutsche Werk kurzerhand geschlossen. Thomson verlegte die Produktion nach Frankreich und Italien und speiste die Zulieferer des Ulmer Werks mit einer kargen Vergleichsquote ab.
Doch mit diesen vier eilig eingesammelten Firmen hatten die Franzosen noch nicht genug. Sie boten AEG-Chef Heinz Dürr Ende 1981 an, ihm die nodeidende Tochterfirma Telefunken abzunehmen, um damit das zu erhalten, was ihnen am meisten fehlte: eine leistungsfähige Grundlagenforschung. Dürr allerdings war nicht bereit, das für die Übernahme geforderte Aufgeld zu bezahlen und wurde stattdessen handelseinig mit Max Grundig, der nach Verbündeten für sein EURO-Konzept suchte. Der durchlebte zu dieser Zeit die wohl bittersten Monate seiner Unternehmerkarriere. Die Japaner begannen im Sommer, ihre Überproduktionen zu Schleuderpreisen auf den deutschen Markt zu drücken. Es zeichnete sich ab, daß er auch im laufenden Geschäftsjahr - zum drittenmal - rote Zahlen schreiben würde. Sein Finanzberater, Ex-Bankier Ludwig Poullain, rechnete ihm schließlich vor, daß weitere Verluste nicht mehr lange zu verkraften wären. Gedrängt von der Zeit, enttäuscht von den Absagen seiner deutschen Wunschpartner, schlug er in das Angebot aus Frankreich ein. Die neuen Partner einigten sich auch gleich noch, was mit Telefunken geschehen solle. Grundig, so schlugen die Franzosen vor, solle 75 Prozent übernehmen, der Rest bei der AEG bleiben. Damit würde Thomson nicht nur in Fürth, sondern auch in Hannover den Ton angeben.
1981
Es starten zwei Erfolgssendungen, die das Femsehangebot in Deutschland nachhaltig beeinflussen. Götz George tritt in der Reihe „ Tatort" zum ersten Mat als Kommissar Schimanski auf, Frank Elstner präsentiert zum ersten Mal die von ihm entwickelte Show „Wetten, daß...!" Thomson-Chef Gomez drängte, die endgültigen Verträge bis zum 31. Januar zu unterschreiben. Er befürchtete offenbar, daß sich der deutsche Firmensenior, der sich in den letzten Jahren auch den Ruf der Sprunghaftigkeit erworben hatte, alles noch einmal anders überlegen könne. Am Ende akzeptierten die Franzosen aber den 31. März. Diesen Termin hatte Poullain vorgeschlagen, der kalkulierte, daß es nach dem 6. März eine absolute Unionsmehrheit geben und ein CDU-Wirtschaftsminister die kartellrechdiche Ausnahmegenehmigung für den Kauf erteilen würde.
Um ihren Coup aber schon vorher abzusichern, zogen die Franzosen das Geschäft sogleich auf die höchste politische Ebene. Das Industrieministerium in Paris erklärte den Aufkauf kurzerhand zu einem „politischen Test für die deutsch-französische Freundschaft“. Staatspräsident Francois Mitterand äußerte in einem Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl die Hoffnung, daß die deutsche Regierung auf alle Fälle den Handel unterstützen werde, übersah dabei jedoch, daß der Bundeswirtschaftsminister erst entscheiden konnte, wenn das Bundeskartellamt die Fusion abgelehnt hat, keinesfalls aber vorher zur Ministererlaubnis befugt war. daß sich die Wettbewerbsexperten in Lambsdorffs Bonner Ministerium mehr als zurückhaltend zeigten. Nicht nur wettbewerbspolitische Vorbehalte wurden ins Feld geführt, mehr noch die Befürchtung, daß in Deutschland einige Fabriken geschlossen würden, sollten die Firmen Thomson, Grundig, Tele-funken, Nordmende und Saba ihre Femsehgeräteproduktion Zusammenlegen. Gestärkt in dieser Annahme wurden sie durch die Pariser Zeitung L'Humanite, das Presseorgan der Kommunisten, das postulierte: Die Operation Grundig, von öffentlichen Mitteln finanziert, müsse vorrangig dazu dienen, Arbeitsplätze in Frankreich zu sichern. Ein französischer Staatskonzern habe nicht die gleiche Aufgabe wie ein westdeutscher Kapitalist, nämlich immer mehr aus Deutschland nach Frankreich zu exportieren.
Dieser Artikel war auch Wasser auf die Mühlen der Gewerkschaftler. Sie nannten die Franzosen unverhohlen Jobkiller“, die sich nach Ansicht der IG Metall nicht scheuen würden, „allein aus strategischen Gründen deutsche Betriebe zu schließen“. „Die bisherigen Erfahrungen mit Thomson-Brandt“, resümierte Der Spiegel, .lassen in der Tat wenig Gutes erahnen. Immer wenn die Franzosen eine angeschlagene deutsche Firma kauften, verloren Tausende ihren Job.“
Hochstilisiert zum Wahlkampfthema der Bundestagswahl vom 6. März 1983, dominierten bald die unsachlichen Anwürfe. Die geplante Mesalliance zwischen Kapitalist und Sozialisten sei mehr als pervers, Grundig am Ende, sein Unternehmen ihm längst über den Kopf gewachsen - persönliche Anschuldigungen, die Max Grundig zunächst noch gelassen konterte: „Wir verhandeln aus einer Position der Stärke.“ Die konnte er auch bald brauchen, denn das Kartellamt in Berlin ließ den Hochzeitstermin platzen. Es verwei
gerte die Zustimmung, weil durch die 24,5-Prozent-Beteiligung von Philips (das sich von seinen Anteilen auf keinen Fall trennen wollte) an Grundig „eine Verflechtung von Interessen zwischen Thomson-Brandt und Philips eingetreten und der Marktanteil zu mächtig geworden wäre“. Thomson-Brandt, brüskiert über die öffentliche Dauer-Schelte und verschnupft über das miserable Echo in der Bundesrepublik, allerdings nicht bereit, auf einen deutschen Partner zu verzichten, gab sich schließlich mit der zweitbesten Lösung zufrieden: In einer Blitzaktion erwarb man die Mehrheit an Telefunken. Das Bedauern lag nicht nur bei den Franzosen (Le Monde wies dem Staatskonzern wegen seines raschen Aufgebens zumindest eine Teilschuld zu) und bei der EG in Brüssel, wo man sich „im Namen Europas“ bestürzt zeigte über die Berliner Entscheidung - auch Max Grundig mußte es als Niederlage verbuchen, daß mit der Franzosen-Fusion vorerst auch sein EURO-Konzept gescheitert war.
8. Max Grundig - Die Frau an seiner Seite
Im Dezember 1980 hatte er mit 72 Jahren zum dritten Mal geheiratet. In aller Heimlichkeit - die Presse bekam erst Wochen später davon Wind. Nach zehnjähriger Trennung von seiner Frau Anneliese, die seit langem in München lebte, ließ er sich scheiden, „feierte vor zwei Monaten die Geburt einer Tochter“, wie die Abendzeitung am 30. Januar 1981 meldete, „und heiratete die Mama - seine ehemalige Hausdame und langjährige Lebensgefährtin Chantal Girard, eine einfühlsame Französin aus dem Elsaß, die 40 Jahre jünger ist als er selbst.“
Die Nachricht überraschte selbst den engsten Freundeskreis. Die Hochzeitsfeier hatte mit den Leibspeisen des Bräutigams - Ganshaxerln und Beuscherl - im neu ausgebauten Penthouse stattgefunden, das Max Grundig auf dem Dach des firmeneigenen Fürther Hotels „Forsthaus Dambach“ hatte errichten lassen. Die neue Ehe wurde für ihn zur Kraftquelle, zu einem Refugium, in das er sich zurückziehen konnte, zur ehernen Konstante in der angebrochenen Umbruchphase. „Wenn ich nicht so eine vernünftige Frau hätte“, bekannte Max Grundig, „könnte ich dieses Leben gar nicht durchführen, würde ich es auch gar nicht durchhalten. Ich verdanke ihr viel, vor allen Dingen dies, daß sie, wenn ich abends heimkomme, mitunter sehr abgearbeitet und strapaziert, mir mit Ruhe jene Umgebung und Atmosphäre schafft, die es mir gestattet, am nächsten Morgen wieder mit voller Kraft zu beginnen. Sie hat Verständnis für meinen Beruf, plagt mich nicht mit gesellschaftlichen Zwängen. Dazu hätte ich weder Zeit noch Lust.“ Vielleicht war das auch der Grund für die Trennung von seiner zweiten Frau. „Ich bin ein etwas schwerfälliger Franke und sie eine lebenslustige Theaterfrau. Eigentlich hätten wir gar nicht zusammengepaßt.“
Wie klug sich seine neue Frau verhielt, davon bekam ein breites Publikum einen Eindruck, als sie sich zum 75. Geburtstag ihres Mannes mit einer knappen Rede an die Frauen seiner Mitarbeiter wandte: „Ich weiß aus Erfahrung, daß mein Mann seine Mitarbeiter über die üblichen Geschäftsstunden hinaus in Anspruch nimmt und sicher auch in Anspruch nehmen muß. Es sind keine Ausnahmen, daß dies auch sonn- und feiertags und oft sogar im Urlaub vorkommt. Dienstschluß, Feierabend, Wochenende im üblichen Sinne gibt es für ihn und seine Mitarbeiter nicht. Für die Familie, für die Kinder und deren Probleme bleibt wenig Zeit. Und doch wird von den Frauen Verständnis und Geduld erwartet. Dieses Dankeschön an die Frauen seiner Mitarbeiter war schon lange fällig. Für mich war diese Feier willkommener Anlaß dazu.“
Anlaß war die Feier auch für eine ganze Reihe von Laudatoren, dem Jubilar höchste Reverenz zu erweisen und seine Bedeutung für die deutsche Wirtschaft zu unterstreichen. „Ihre unternehmerische Leistung ist ein Stück Geschichte in der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland“, schrieb Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Grußadresse. „Aus kleinsten Anfängen heraus haben Sie eines der größten europäischen Unternehmen auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik geschaffen.“ Der russische Botschafter Semjonow überbrachte die besten Wünsche des Ministerrates der UdSSR, Ludwig Poullain versicherte in seiner Rede als Aufsichtsrat und Vorstandsmitglied der Stiftung: „Max Grundig ist ungebrochen an Kraft und Ideen“ und Berthold Beitz, Vorsitzender des Stiftungs-Kuratoriums und des Aufsichtsrats in einer Person, rühmte Grundigs „kämpferische Willenskraft und ungebrochene Dynamik.“ Selbst der Betriebsratsvorsitzende Alfred Treiber, sonst naturgemäß eher auf Kontrakurs, zollte seinem Chef die ihm an diesem Tag gebührende Achtung: „Sie haben mit erheblichen Investitionen Arbeitsplätze im Inland geschaffen und gesichert, als andere, angesichts einer Arbeitslosenzahl von nahezu einer Million und geringem Wirtschaftswachstum, bereits Investitionspausen einlegten.“
Wenig angesprochen wurden die latenten Schwierigkeiten, in denen der Ausnahme-Unternehmer und sein Konzern unübersehbar steckten. Immerhin versuchte der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß als Grundigs langjähriger Wegbegleiter eine Art Analyse: „Max Grundig ist allein durch Arbeit ... zu einem der Großen in der deutschen Wirtschaft geworden ... Bis heute sind die Erzeugnisse aus dem Hause Grundig technische Spitze. Es sind nicht etwa technischer Rückstand, mangelnde Forschung oder verpaßter Anschluß, die diesem Weltunternehmen Schwierigkeiten machen, sondern es ist die Tatsache, daß deutsche Wertarbeit zu teuer, daß deutsche Fertigungsmethoden zu arbeitsintensiv, zu wenig computergesteuert sind.“
Der Jubilar selbst wurde in diesen Tagen dem von ihm gezeichneten Bild gerecht. Er gab sich kampfeslustig und trotzig-siegesgewiß. Vor der Presse erklärte er: „Grundig ist stark genug, allein zu bleiben. Ich war noch nie im Zugzwang, nach Partnern zu suchen, und ich bin es auch heute nicht. Wir sind ein finanziell rundum gesundes Unternehmen.“
1982
Ein letztes Aufbäumen gegen die bessere Einsicht, ein zweckopportunistisches Täuschungsmanöver des gewieften Taktikers oder lediglich Starrsinn!- Darüber rätselte man auch in den Medien. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die dem alten Patriarchen schon mal vorgeworfen hatte, sein Unternehmen sei ihm ganz offensichtlich über den Kopf gewachsen, hielt ihm der Wirtschaftsjournalist Gerd Materne nun die Stange: „Kann es Grundig auf sich gestellt schaffend Es wird hart werden, aber es scheint aus heutiger Sicht nicht unmöglich. Das wäre vor allem wettbewerbspolitisch die beste Lösung. Das Fundament des Unternehmens hat zwar in den letzten Jahren einige Kratzer abbekommen, ist aber noch fest gefügt. Die Marke Grundig hat im Handel noch immer eine ausgezeichnete Position und ist im Bewußtsein des Verbrauchers stark verankert. Auf wichtigen Teilmärkten ist Grundig die Nummer Eins in der Bundesrepublik, insbesondere bei den Umsatz und Gewinn bringenden Farbfernsehern. Die technische Leistungsfähigkeit ist unbestritten. In der Entwicklung könnte eine Vertiefung der bereits bestehenden Kooperation mit Philips noch brachliegende Reserven zum beiderseitigen Nutzen erschließen. Selbst in dem besonders kritischen Bereich der Videorecorder scheinen für Grundig ausreichende Seriengrößen machbar, auch nach japanischen Maßstäben.“
Etwa gleichzeitig jedoch wurde in einem offenen Brief an den Grundig-Gesamtbetriebsrat vor dem Hintergrund der gescheiterten Fusion mit Thomson die bittere Pille nötiger Entlassungen verabreicht, nachdem vorher schon im Zuge der Rationalisierungsmaßnahmen das Werk in Taiwan geschlossen worden war: „Wir bedauern außerordentlich, daß wir zur Zeit Arbeitskräfte freisteilen müssen. Es ist allen bekannt, daß die Einführung neuer Technologien einen gewissen Automatisierungsprozeß zur Folge hat. Dadurch werden Lohnminuten und Arbeitsplätze eingespart.“ Man hoffe allerdings, mit neuen leistungsstarken und preisgünstigen Produkten den Absatz steigern und dann auch wieder Einstellungen vornehmen zu können.
Keine leeren Worte. Bereits auf der Hannovermesse wurden zwei progressive Weltempfänger, der Farbfernseh-Großprojektor Cinema 9080 mit 1,28 Quadratmetern Bildfläche und Neuentwicklungen im Bereich der Fernsehkameras und Telefonanrufbeantworter vorgestellt. Der Kämpfer Max Grundig mobilisierte noch einmal alle Reserven, um sich seinen Traum von der Unabhängigkeit zu bewahren. Als das Unternehmen mit neunmonatiger Verspätung im Dezember 1983 den Geschäftsbericht 1982/83 vorlegte, war der Umsatz um fast sieben Prozent auf 3,06 Milliarden gestiegen und es wurde ein Jahresüberschuß von 104 Millionen Mark ausgewiesen. Zwar war dieser weitgehend auf Sondereinflüsse - vor allem die Übertragung von fast 500 Millionen Mark Vorräten an die neugegründete Tochtergesellschaft Grundig-Vertriebs GmbH - zurückzuführen, doch die Geschäftsleitung äußerte sich in ihrem Ausblick verhalten positiv: „Wir sind zuversichtlich, unsere Position am Markt weiter ausbauen zu können, obwohl die zunehmende Lebensdauer unserer Produkte sowie die rückläufige Kaufkraft der Konsumenten erschwerend wirken.“ Bemäntelt wurden aber auch nicht die Schattenseiten. Obwohl alle Möglichkeiten der Kostenreduzierung genutzt worden seien, stehe man „weiter im scharfen Wettbewerbsdruck, insbesondere gegenüber der internationalen Konkurrenz“.
Unverhohlen wurde jetzt in der Presse darüber spekuliert, wie lange der Atem des Fürther Unternehmermonuments wohl noch reichen würde, zumal als Mitte 1983 bekannt wurde, daß Philips-Chef Cor van der Klugt seine Bereitschaft erklärt hatte, die unternehmerische Führung zu übernehmen. Nachfragen wurden - so eine Schlagzeile der Nürnberger Zeitung - mit dem „Großen Schweigen in Fürth und Eindhoven“ beantwortet, was allerdings eher als Bestätigung gewertet wurde. „Die Weichen sind ohnehin seit 1979 gestellt“, schrieb die NZ, „denn damals setzte Max Grundig auf Schloß Fuschl bei Salzburg seine Unterschrift unter einen Vertrag, der Philips nicht nur eine indirekte 24,5-Prozent-Beteiligung an der Grundig AG gewährte, sondern auch unter einen Paragraphen, der den Einfluß von Philips auf die Wahl möglicher anderer Beteiligungspartner festschrieb. An dieser Klausel dürfte letzten Endes das Zusammengehen mit dem französischen Staatskonzern Thomson-Brandt gescheitert sein und nicht etwa an der Verweigerung des Bundeskartellamtes.“ Max Grundig selbst übte sich in Zurückhaltung, ließ aber immerhin so viel wissen: „Sollte Grundig ... einmal eine Verbindung mit einem anderen Unternehmen eingehen, dann dürfte wohl kaum ein anderer Partner als Philips in Frage kommen.“
Der Paukenschlag erfolgte im Dezember 1983: Grundig teilte mit, daß die Niederländer die unternehmerische Führung und die Aktienmehrheit in Fürth übernehmen wollten. Drei Monate später, am 26. März 1984, wurde die Fusion auch vom Bundeskartellamt gebilligt. Philips konnte nun seine Beteiligung an der Grundig AG um 7,1 Prozent auf 31,6 Prozent des 262,5 Millionen Mark betragenden Kapitals erhöhen. Neuer Vorstandsvorsitzender sollte Hermanus Koning, Vorstandsvorsitzender der Allgemeinen deutschen Philips Industrie GmbH, Hamburg, werden. Ein Bankenkonsortium unter Führung der Dresdner Bank übernahm gleichzeitig Genußscheine in Höhe von 250 Millionen Mark. Geplant war, das Bankenpaket zu einem späteren Termin zum Kurs von 250 Prozent in Kapital der Grundig AG umzuwandeln und ihr damit ein Stammkapital von 100 Millionen Mark zuzuführen.
Damit würden das Bankenkonsortium 27,5 Prozent und Philips 22,9 Prozent des Grundkapitals der Grundig AG halten. „Am 1. April wird ferner", meldete die Süddeutsche Zeitung, „die Max Grundig-Stiftung als Komplementärin aus der Elektro-Mechanische Versuchsanstalt Max Grundig & Co. KG (EMV), Fürth, ausscheiden. Sie wird Kommandistin der KG. An ihre Stelle als Komplementärin tritt eine Verwaltungs-GmbH, deren Mehrheit in Händen des Bankenkonsortiums liegt. Vertreter der GmbH üben vom 1. 4. an Geschäftsführerfunktionen aus. Alle übrigen Anteile sind im Besitz von Philips.“ Dafür verpflichtete sich der Eindhovener Konzern, Grundig auf zwanzig Jahre ertragsunabhängig per anno 50 Millionen Mark Dividende zu zahlen. Hand in Hand ging die Ankündigung, „daß die Grundig AG auch weiterhin auf den Märkten selbständig operieren werde."
April 1983
Nüchterne Worte - für Max Grundig das Ende einer Ära, seiner Ära. Die Schlagzeilen, mit denen die namhaften deutschen Zeitungen, Funk und Fernsehen reagierten, spiegelten es wider: „Max Grundig steigt zum Berater ab“, hieß es in der SZ, „Ein Pionier in Pension“ titelte der Stern, „Ein Konzernherr tritt ab“, meldete das ZDF. In Fürth wiegelte man ab. „Für Max Grundig bleibt eine Menge zu tun“, tönte es aus der Firmenzentrale. Als der Machtwechsel am 1.April 1984 vollzogen wurde, stand für die Fachwelt fest, daß er zu einem Zeitpunkt geschah, zu dem Max Grundig und seine Firma den Zenit des Erfolgs und der Ertragskraft deutlich überschritten hatten. Kaum einer zweifelte daran, daß die Übernahme keine Höflichkeitsfloskel, sondern harte Notwendigkeit war. Den so stolzen wie sturen Patriarchen davon überzeugt zu haben, war das Verdienst Ludwig Poullains. Eine Kärrnerarbeit. „Max Grundig hatte sich mit seiner Firma ein Spielzeug geschaffen, an dem er mit ganzer Seele hing“, psychologisiert der langjährige Grundig-PR-Direktor Karl-Heinz Schmidt seinen einstigen Dienstherrn. „Er hätte dieses Spielzeug aber auch bedenkenlos an den Baum gefahren, wenn man ihn hätte gewähren lassen.“
Als er sich schließlich den harten Fakten beugen mußte, interpretierte es der späte Einsichtige in einer Rede vor dem Aufsichtsrat Ende März in seinem Sinne. Mit der Philips-Übernahme, so ließ er wissen, werde sein Wunsch, den er seit Jahren verfolge, endlich Realität. Eine Zusammenballung in der Unterhaltungselektronik, der nach Forschungspotential, Innovationskraft, Marktdurchdringung und Umsatz weltweit wenig Vergleichbares entgegengesetzt werden könne. „Auf die Dauer“, gab er zu, „wäre ich allein gegen die Japaner nicht angekommen. Wenn Philips es zusammen mit meiner Firma nicht schafft, die Japaner zu stoppen, dann ist die europäische Unterhaltungselektronik kaputt. Dann sind 100.000 Arbeitsplätze weg. Dann finanzieren wir mit unserer Arbeitslosenversicherung die japanische Industrie.“ Was ihn selbst betraf, bilanzierte er: „Ich werde nicht mehr als Verantwortlicher für die Untemehmenspolitik der Grundig-Gruppe handeln, sondern als Beobachter mir meine Gedanken machen. Ich werde auch, wenn ich gefragt werde, meine Meinung zu allen Fragen sagen. Aber der große Wurf, auf den Philips auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik setzt, dieser große Wurf muß von der Konzernspitze kommen.“
Daß mit der Vertragsunterzeichnung und dem Kommandowechsel, der so schmuck- wie klanglos in kleinstem Kreis geschah, ein Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte zugeschlagen wurde, das erkannten auch die, die sich zuletzt in öffentlichen Dauer-Standpauken geübt hatten. In einem breiten Forum gab man dem legendären Konzerngründer Gelegenheit, seine persönliche Sicht zu verkaufen. Das ZDF widmete dem „eigenwilligen Einzelgänger“ eine Sondersendung, in der ARD bat ihn Promi-Talker Joachim Fuchsberger als Gast zu „Heute abend...“. Reporter des Stern reisten dem „Ohr der Nation“ in sein Feriendomizil an der Cote d’Azur nach, einem Traumpalast auf einem 100.000-Quadratmeter-Grundstück der Halbinsel Cap Martin, das dem amerikanischen Nähmaschinen-König Singer gehört hatte, von Grundig Ende der 70er Jahre erworben, vor dem Verfall gerettet und zu einem Märchenschloß renoviert worden war. Dorthin hatte er sich nach den Schicksalstagen im März/April mit seiner Familie zurückgezogen, um dem Medienrummel zu entfliehen.
Gelang es ihm nicht, gab er sich ungebrochen. „Alles Quatsch“, wich er etwa Fragen aus, ob Grundig denn allein nicht mehr lebensfähig gewesen wäre. „Glauben Sie, die Holländer sind so doof, daß sie mir für ein kaputtes Unternehmen 20 Jahre lang eine garantierte Dividende auf meine Aktien nachwerfen und diese Aktien danach dann für einen jetzt schon festgelegten Kurs kaufend Ich habe eine gesundes und geordnetes Unternehmen übergeben.“
Mai 1983
Selbst wohlmeinende Freunde konnten das oft nur mit Kopfschütteln quittieren. „Ich hoffe“, äußerte sich Grundig-Biograph Egon Fein, „daß er seine Friedfertigkeit wiedergewinnt.“ Das Gegenteil war der Fall. Der abgetretene Patriarch grantelte, weil er sich seinen Abschied aus der Welt der Industrie, des Managements und des Konkurrenzkampfes etwas anders vorgestellt hatte. Gerne wäre er als jener Wunderknabe deutscher Nachkriegstüchtigkeit abgetreten, als der er stets gegolten hatte. Stattdessen wurde ihm in den kommenden Monaten immer deutlicher, daß sein Rat nicht mehr gefragt war. Der Philips-Konzern hatte eigene Vorstellungen, wie das angeschlagene Unternehmen saniert werden sollte. Verärgert zog sich Grundig zunächst in die oberste Etage der Grundig-Bank gegenüber dem Firmensitz zurück. Nur ganz selten empfing der von Philips installierte Vorstandsvorsitzende Koning den Firmengründer zu einem Gespräch. Immer häufiger klagte „der Alte“ gegenüber Vertrauten: „Die machen alles falsch.“
Feier im Zeichen der Krise: der 75. Geburtstag von Max Grundig im Jahr 1983
Anfang 1985 mußte der unfreiwillige Pensionär dann auch noch sein Büro in der Bank aufgeben. Sein Finanzberater Poullain hatte die Bank an die Schweizerische Kreditanstalt verkauft. So wurde das Feld, auf dem er sich betätigen konnte, immer kleiner - es blieb ihm nur noch die Verwaltung seiner Luxushotels, die er seit 1977 erworben hatte: des Forsthauses Dambach in Fürth, des Schloßhotels sowie des Jagdhofs am Fuschlsee bei Salzburg und des Hotels Vista Palace bei Monaco. Zunächst nur als Hobby und Geldanlage gedacht, wurden die Nobelherbergen jetzt zum Ventil für seine ungebremste Vitalität.
Gerade recht kam ihm da eine Immobilienofferte aus Baden-Baden. Dort bot die Deutsche Bundesbahn ein Herrschaftshaus an, das einst der deutsch-brasilianische Kaffeekönig Sielcken hatte errichten lassen und das zuletzt als Kurheim für Eisenbahner gedient hatte. Grundig zögerte nicht lange. Für rund acht Millionen Mark erstand er die Stadtrand-Villa mit einem 26 Hektar großen Park. Das als „Mariahalden“ bekannte Landgut wollte er jedoch keineswegs seiner Hotelkette einverleiben. Vielmehr drängte er darauf, so bald wie möglich dort mit seiner Ehefrau Chantal und seiner inzwischen fünfjährigen Tochter Maria einziehen zu können. Die Bäderstadt am Westhang des Schwarzwalds, so versicherte er Freunden, sei schon immer ein Jugendtraum gewesen. Anfang November, nach Abschluß der dringendsten Renovierungsarbeiten, sollte die Familie umziehen.
Doch so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte, ging es nicht. Die Stadtoberen von Fürth meinten, der Weggang sei keineswegs Grundigs Privatangelegenheit. Als Ehrenbürger, zu dem sie ihn 1963 ernannt hatten, habe er schließlich auch Pflichten. Erst ein eingehendes Gespräch konnte die Situation klären. Der Ehrenbürger, erklärte daraufhin der Fürther Oberbürgermeister, „fühle sich nach wie vor mit seiner Heimatstadt verbunden und werde auch hier seine Wohnung behalten.“ Gerüchte, denen zufolge Grundig „aus Verärgerung Fürth verlassen“ wolle, entbehrten „jeglicher Grundlage“.
Es war nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich gab Max Grundig seinen bisherigen Wohnsitz, die Villa am Europakanal auf, die seinem Hotel „Forsthaus Dambach“ angegliedert werden sollte, und behielt nur noch das Penthouse des Hotels. „Klimatische Gründe“, so ließ er wissen, seien für den Umzug verantwortlich. Womit er wohl nicht nur das Klima im engeren Sinne meinte - zu groß waren Wut und Enttäuschung, die sich in ihm angestaut hatten. „Ich bin ein Vorwärtstyp“, faßte er diese in einem Interview mit der Zeitschrift Quick in Worte, „bedauernd zurückzuschauen, halte ich für müßig. Aber das mit Philips würde ich nie wieder machen. Ein autoritärer Mensch wie ich, kann nicht Zusehen. Er muß selbst etwas in die Hand nehmen, statt etwas aus der Hand zu geben.“
Im Kreis der Freunde und Vertrauten: Festessen anläßlich des 75. Geburtstages von Max Grundig
Sich selbst ein Denkmal setzen: die Jubiiäums-Ausgabe des Grundig-Reports zum 75. Geburtstag des Hausherren
Ungeachtet seiner persönlichen Flucht aus der Nähe zu seiner Firma, die nun nicht mehr seine Firma war, blieb Fürth der Sitz der Grundig-Familienstiftung, die noch über knapp 50 Prozent der Firmenanteile verfügte. Als eine Stiftung bayerischen Rechts durfte sie ihren Sitz ohne Zustimmung des Innenministeriums nicht aus dem Freistaat verlegen - auch wenn die ganze Konstruktion durch die Philips-Übernahme inzwischen überflüssig geworden war. Denn „den Fortbestand aller Grundig-Untemehmen mit Vorrang dauerhaft gegen Familienfehden und Erbstreitigkeiten zu sichern“, hatte sich erübrigt. Auch eines anderen Auftrags hatte die Stiftung sich bereits entledigt. Die Grundig-Akademie hatte der Stifter abgestoßen und auf den Konzern übertragen. Nun mußte Philips die Unterhaltskosten, jährlich etwa ein bis zwei Millionen Mark, tragen - eine Belastung, die nach Grundig-Berater Poullain in dem von Philips gezahlten Kaufpreis „deutlich zum Ausdruck gekommen“ war.
Letztlich blieb der Stiftung damit nur noch eine Aufgabe: den Familienclan finanziell auszustatten. Anders nämlich als zum Beispiel die Großindustriellen Bosch, Krupp oder Zeiss, die Stiftungen zu gemeinnützigen Zwecken einrichteten, hatte Max Grundig vor allem „die Wahrung und Förderung gemeinsamer Interessen der Angehörigen der Familie Grundig“ verankert. „Die Angehörigen“, rechnete Der Spiegel im Dezember 1985 leicht süffisant nach, „kommen gut auf ihre Kosten. Neben Erträgen aus einem Aktienpaket von 5,8 Prozent des Philips-Kapitals bezieht die Stiftung stattliche Raten aus dem letzten Verkauf der Grundig-Anteile. So fließen jährlich 50 bis 70 Millionen Mark aus Eindhoven auf die Stiftungskonten. Hinzu kommen die Erträge aus der Hotelkette, und die 100 Millionen Mark aus dem Verkauf der Bank sind auch noch nicht verbraucht. Aber offenbar reicht das alles noch nicht: Nun soll auch das Philips-Aktienpaket versilbert werden. Nach Absprache mit Eindhoven beauftragte Grundig die Deutsche Bank, seine rund elf Millionen Philips-Aktien im Wert von 500 Millionen Mark zu verkaufen.“
„Noch ist völlig unklar“, spekulierte das Hamburger Nachrichtenmagazin weiter, „wie Grundig den Geldsegen anlegen will“. Vor allem der bayerische Ministerpräsident Strauß, zugleich Mitglied des Kuratoriums der Grundig-Stiftung, drängte darauf, daß das Geld im Lande bleiben solle. Dann, so machte er seinem alten Freund Max bei einem Treffen in Fuschl klar, werde sich auch der Freistaat erkenntlich zeigen. Steuererleichterungen für die Familienstiftung seien durchaus denkbar.
In diesem Fall zog der Bayer Strauß, mit dem sich Franke Grundig bislang auf einer Gentleman-Agreement-Basis bestens verstanden hatte, den kürzeren. „Wenn ich mit Behörden ernste Schwierigkeiten hatte, habe ich ihn angerufen“, hatte Max Grundig vor nicht allzu langer Zeit seinen Münchner Verbündeten gerühmt. „Wir haben uns dann zumeist samstags in seiner Wohnung zum Mittagessen verabredet. Seine Tochter brachte uns dann einen Bocksbeutel und wir haben uns ausgesprochen. Wenn er konnte, hat er mir immer geholfen.“
August 1983
Auf der Berliner Funkausstellung werden die ersten Compact Discs als neue Tonträger vorgestellt. Die Hersteller versichern, daß man keineswegs die Langspielplatten damit vertreiben wolle.
Nun schieden sich die Wege. Der abgedankte Rundfunk- und Fernsehkönig verließ Bayern - nicht im Frieden. Hartnäckig hielt sich die Legende von einem ..Hausverbot“ für den alten durch die neuen Herren. Nach Fürth kam er in den nächsten Jahren nur noch ungern zurück. Zu sehr schmerzte es ihn, daß den anderen offenbar gelang, was ihm versagt geblieben war. Denn Koning, als Sanierer bestellt, schaffte ein kleines Wunder. Er verpaßte dem Unternehmen eine drastische Roßkur. Unrentable Fertigungsstätten wurden geschlossen, die Anlagen modernisiert, Programm und Marketing klar ausgerichtet.
Zwei Jahre nach der Übernahme hatte Grundig erneut Tritt gefaßt: Die Firma verließ die Verlustzone und peilte für 1986/87 erstmals wieder einen zweistelligen Millionengewinn an. Was aus der Fürther Zentrale an die Öffentlichkeit drang, war bis zum Weggang Konings, der sich 1987 in den Ruhestand verabschiedete, von einem deutlichen Aufwärtstrend geprägt. Drei Weltneuheiten - zwei TV-Jumbos mit 95 und 82 cm Bilddiagonale sowie das erste Farbfernsehgerät mit 100 Hz-Technik ohne Großflächenflimmern - und die Exklusivlinie „Fine Arts by Grundig“ wurden bereits kurz nach der Markteinführung zu absoluten Verkaufsschlagern mit Lieferfristen. Die Beschäftigtenzahl lag über 19.000, der Umsatz bei 3,4 Milliarden Mark. „Philips hat jetzt die Macht bei Grundig“, kommentierte der Münchner Merkur, „aber der Markenname Grundig hat Weltgeltung wie eh und je."
Der Zeit anpassen: Der rasante Fortschritt der elektronischen Technik erfordert immer schneller neue Geräte
Der Firmengründer hatte sich in diesen Jahren in seinem neuen badischen Bergdomizil „Mariahalden“ verschanzt. Mit seinem Luxus wußte er so recht nie etwas anzufangen. Er kaufte Bilder, aber wahllos. Er kaufte eine Yacht, aber konnte sie nicht genießen. Nichts konnte ihn von den Depressionen nach dem Verkauf seiner Werke wirklich ablenken. Öffentliche Auftritte waren selten, die Presse strafte er mit Mißachtung und Mißtrauen. „Schon geraume Zeit“, beobachtete Der Spiegel, „läßt sich der alte Herr, der mit Besuchern stets leise und bedächtig spricht, sich so gerne mit Herr Doktor anreden läßt und fast jeden dritten Satz mit der Floskel ,undsoweiter undsofort' beschließt, sorgfältig von der Außenwelt abschirmen. Aufwendige Videoüberwachungssysteme und mehrere Bodyguards sollen ihm die Angst vor Attentaten nehmen.“
Nur selten öffnete er Journalisten die streng gesicherten Tore seines festungsmäßg ausgebauten Besitzes. Wenn doch, dann bot er ihnen das Bild eines harmonischen Familienlebens, und gab sich erleichtert, nun aus dem Firmen-Spiel zu sein. „Mein Lebenswerk hat fast meine ganze Freizeit verschlungen. Ich wollte mein Leben lang einmal mit der Straßenbahn von Nürnberg nach Fürth fahren. Das habe ich nie geschafft. Die jetzt gewonnene Freizeit widme ich meiner Frau und meiner Tochter. Das füllt mich voll aus.“
Die Idylle des „Altersruhesitzes“ galt als perfekt. „Ein Schwarzwaldmärchen“, schwärmte die Wochenillustrierte Quick, „mit uralten Eichen, Tannen, Mammutbäumen und kleinen Teichen auf 27 Hektar Land.“ Mit eigenen Personalhäusern, Wachhaus, Verwaltungsgebäude und Hubschrauberlandeplatz. Viele der Wege waren asphaltiert worden, damit sich der Hausherr, seit seiner schweren Knieoperation gehbehindert, von seinem Chauffeur im grauen Mercedes 600 über das Gelände kutschieren lassen konnte. Oder zu seiner Bibliothek, wo der Karl-May-Fan vor allem wertvolle Bände seines Lieblingsautor archiviert hatte.
Dort, in einem historischen Jugendstil-Badehaus, waren auch seine über 30 Orden akkurat in einer Vitrine aufgereiht, die Besuchern stets mit der Bemerkung vorgeführt wurden: „Tragen tu ich die nicht.“ Die 20-Zimmer-Villa war luxuriös ausgestattet. „Kein Besucher entrinnt ihrem Bann“, so die Quick weiter, „an den Wänden Dürer, Gainsborough, Grützner. In den unauffällig in Wandecken eingefügten Glasschränken seltenes Porzellan oder vergoldete Ritterfiguren aus Nürnbergs Silberschmieden. Chantal Grundig, ständig umwuselt von ihren beiden Yorkshires Mickey und Maskott, sorgt nicht nur für den weißen Flieder, den Max Grundig liebt, sondern auch für durchweg 24 Grad Celsius im ganzen Haus. ,Mein Mann fröstelt schnell, wenn er hinterm Schreibtisch sitzt.'“
1984
Mit der Einrichtung von vier Kabelpilotprojekten beginnt in Deutschland das duale Zeitalter. Von nun an konkurrieren private Hörfunk- und Fernsehanbieter mit den öffentlichrechtlichen Anstalten um die Gunst der Hörer und Seher.
Hinterm Schreibtisch saß der unfreiwillige Pensionär oft - so wie er seinen Tagesablauf auch weiterhin mit der ein Lebenlang geübten eisernen Disziplin regelte. Pünkdich um neun Uhr morgens ließ er sich von seiner Sekretärin die Post bringen, beriet mit seinen Mitarbeitern Projekte, Geldanlagen, Spenden, die Geschäfte der Stiftung - und vor allem die Aufgaben, die sich aus seinen Hotels ergaben. Als Eigentümerin firmierte die „Hotel Verwaltung der Grundig Stiftung“, und in dieser neuen Karriere sah sich der alte Patriarch durchaus noch nicht am Ende angekommen. „Träume habe ich nicht mehr, ich kann mir und meiner Familie doch alles leisten“, gab er auf entsprechende Nachfragen zu, „aber noch viele Pläne. Wenn ich etwas Passendes finde, werde ich meine kleine Hotelgruppe noch vergrößern. Das ist eine Aufgabe, die meiner unternehmerischen Unrast Freude macht.“ Und verriet auch gleich, was ihn am meisten umtrieb: „Nichts ist schwerer, als ein großes Vermögen vernünftig anzulegen.“
Als er seine Hotelierkarriere 1977 mit dem Erwerb des Schloßhotels Fuschl bei Salzburg begonnen hatte, war dies aus einer Laune heraus geschehen: als Gefälligkeit gegenüber dem damaligen österreichischen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger, der die heruntergekommene Herberge an den Mann bringen wollte und sich nach dem geglückten Deal mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen der Bundesrepublik Österreich bedankte. Doch eben mal so erwarb ein Max Grundig nichts. Der Mann mit dem Goldgräberinstinkt, der Halbheiten nicht ausstehen konnte, trieb die ihm zugefallene Hobbykarriere ebenso zielstrebig voran wie alles in seinem Leben. Aufmerksam hielt er fortan Ausschau nach neuen Betten, baute bereits Jahr später am Firmensitz Fürth das „Forsthaus Dambach“ und erwarb, damit kaum fertig, auf einer Klippe oberhalb von Monaco das „Vista Palace“, das er mit annähernd 35 Millionen Mark zum Luxushotel hochstilisieren ließ. Wieder gab es dafür einen Orden, diesmal von der monegassischen Fürstenfamilie.
Zwangsweise unterbrochen durch die Grundig-Turbulenzen, die Anfang der 80er seine volle Energie beansprucht hatten, hatte er jetzt wieder die Hände frei und Geld genug, sein Altersspielzeug aufzupolieren. Er tat es schlagzeilenträchtig. Im Sommer 1986 ersteigerte er für 7,8 Millionen Mark im Nordschwarzwald das Schloßhotel „Bühlerhöhe“ samt Sanatorium. „Ministerpräsident Lothar Späth hat mir das total vergammelte Ding eingeredet“, erklärte er die spektakuläre Neuerwerbung, einst Adenauers Lieblingsdomizil, „um zu verhindern, daß das Haus weiter verkommt.“
Der revanchierte sich mit dem Versprechen, den potenten Käufer nicht im Regen stehen zu lassen: Denkmalschützer erhielten die Anweisung, nicht mit pingeligen Auflagen für unnötigen Ärger zu sorgen, und die Umbaugenehmigung wurde in der Rekordzeit von sechs Wochen erteilt. „Das größte Problem“, klagte einer der Architekten über Grundigs zahlreiche nachträgliche Änderungswünsche, „war eigentlich der Bauherr selbst.“
Die unverzüglich einsetzende Kritik aus Bayern, daß die Grundig-Gelder nun nach Baden-Württemberg abfloßen, parierte der Gerügte ebenso umgehend: „Eine halbe Generation hat die Stadt Fürth von mir gelebt.“ Allein „15 Milliarden Mark Einkommenssteuer“ habe er in Bayern gezahlt, das müsse „doch wohl genug“ sein. Im Gegenzug pries der baden-württembergische Ministerpräsident das „echte Mäzenatentum“ des Spätumsiedlers aus Bayern und betonte seine Dankbarkeit, „daß Grundig das gemacht hat“. Aus gutem Grund, wären doch ansonsten die Kosten für die Instandsetzung am Land hängengeblieben. „Grundig“, vermeldete er der Presse strahlend, „ist mein Lieblingsuntemehmer. Er ist wie ich. Wir sind beide etwas aggressiv, stur und dickschädelig. Wir sind verbohrt und clever.“
Der Nobelherbergsvater ließ sich nicht lumpen. Mit der „Bühlerhöhe“, so ließ er wissen, wolle er seine Hotelgruppe krönen und sich selbst ein spektakuläres Denkmals setzen - quasi als Präsent, das er sich selbst zum 80. Geburtstag gönne. Rund 150 Millionen Mark stellte er für Umbau, Renovierung und Einrichtung der 90 Zimmer und 14 Suiten zur Verfügung. Teure Teppiche, Antiquitäten und Ölgemälde aus seinem privaten Fundus, dazu viel poliertes Wurzelholz und Stuck sowie reichlich Marmor im Bad - so wünschte er sich sein „Haus der internationalen Luxusklasse für Gäste mit höchsten Ansprüchen“. Um die Rentabilität machte er sich kaum Gedanken. „Wenn nötig“, müsse „eben zugeschossen werden“. „Damit hat der rüstige Rentner, den das schwierige Geschäft des Geldanlegens ohnehin gewaltig drückt“, konnte sich Der Spiegel nicht verkneifen, zu bemerken, „nun endlich Aussicht, der permanent sprudelnden Geldquellen wenigstens vorübergehend Herr zu werden.“
Als Max Grundig am 8. Mai 1988 achtzig wurde, erhielt sein neues Vorzeigeobjekt gerade den letzten Schliff. Zur Feier mußte man ausweichen in „Brenners Parkhotel“ in Baden-Baden, das dem Pudding-Magnaten Oetker gehörte. Nur hundert handverlesene Gäste - darunter des Jubilars neuer Landesvater Späth, der ihm als Geschenk die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg verlieh, und sein langjähriger Mitstreiter Berthold Beitz - waren geladen. Fernsehauftritte, Empfänge, Ehrungen hatte Grundig abgelehnt - auch das Angebot der Stadt Fürth, ihm den Geburtstag auszurichten. Nicht verhindern konnte er freilich, daß er in den deutschen Medien, auch ohne sein Zutun, gewürdigt wurde - meist mit einer ausführlichen Aufarbeitung seiner für viele kaum begreifbaren Vita und Karriere. Trotz leiser kritischer Töne gab es aufrichtige Hochschätzung auf breiter Front. „Charaktereigenschaften der Franken“, beschloß die Süddeutsche Zeitung ihre Gratulation, „wie Begeisterungsfähigkeit, Beweglichkeit, Realismus und Phantasie haben Max Grundig geprägt. Sie sind auch bestimmend dafür, daß er sich zwar zurückgezogen, aber noch lange nicht zur Ruhe gesetzt hat.“ „Max Grundig war stets von sich überzeugt“, typisierte ihn der Münchner Merkur unter der Überschrift „Ein Monument des privaten Unternehmertums“, und Die Welt staunte: „Für Verträge und Fakten braucht er noch immer keine Hilfen, die hat er im Gedächtnis. Zahlen ruft er nur so ab. Wie selbstverständlich spricht er über langlaufende Kontrakte. Planungsziele strebt er nach wie vor im Fünfjahresrhythmus an. Dieser Mann ist nicht kleinzukriegen.“
Nur eineinhalb Jahre später, die in der glanzvollen Wiedereröffnung der „Bühlerhöhe“ am 25. Juni 1988 ihren Höhepunkt hatten, beherrschte der so heftig Angefeindete wie Hochgelobte erneut die Medien: Max Grundig war gestorben - am 8. Dezember 1989. „Am Freitag früh, gegen 1.30 Uhr, blieb das Herz von Max Grundig stehen“, meldete die Münchner tz. Das Drama hatte sechs Tage vorher begonnen, auf seinem Stuhl im Vorstandsbüro der Max-Grundig-Stiftung. Während einer Vorstandssitzung war dem ruhelosen Manager in eigener Sache plötzlich schlecht geworden. Man brachte ihn zunächst in das Krankenhaus auf der Bühlerhöhe, das er selbst seinem Hotel angegliedert hatte. Nach ersten Untersuchungen wurde er ins Städtische Krankenhaus Baden-Baden verlegt. Embolien im Bereich von Milz und Bauchspeicheldrüse machten eine Notoperation nötig. Sein Zustand besserte sich zunächst - bis der Kreislauf plötzlich zusammenbrach.
Von da an begann ein tagelanges Ringen um sein Leben. Sein langjähriger Leibarzt Professor Dietze und zwei weitere medizinische Kapazitäten überwachten ihn rund um die Uhr; der Einsatz modernster medizinischer Uberlebensgeräte weckte noch einmal Hoffnung. „Es ist unglaublich", zitierte Bild München den Leibarzt, „wie sich Max Grundig gegen den Tod stemmt.“
1986
In der Nacht zum 8. Dezember hatte er den Kampf verloren. Er war 81 Jahre alt geworden. „Deutschland trauert um eine Symbolfigur des Wirtschaftswunders“, schrieb die tz in einem ersten Nachruf. Unzählige folgten. nicht einer scherte aus: Mit Max Grundig hatte die Bundesrepublik unbestritten einen ihrer großen Wirtschaftspioniere und den Zaubermeister der Unterhaltungselektronik der Nachkriegszeit verloren. „Rundfunkpionier, Fernsehtüftler, Vollblut-Unternehmer, Symbol für das Wirtschaftswunder, Hotelier - er war alles, setzte für alles Maßstäbe“, faßte Die Welt ein ungewöhnliches Leben kurz zusammen. Für viele in Deutschland war mit diesem Mann, das erspürten sie instinktiv, ein Stück Nachkriegsdeutschland zu Ende gegangen - ein rastloses Leben, das die Generation des Wiederaufbaus nachhaltig geprägt hatte. In der Batschari-Gruft in Baden-Baden, die einst einer Zigaretten-Dynastie gehört hatte und von Max Grundig erworben worden war , fand der bereits zu Lebzeiten und erst recht im Tod legendäre „Monarch der Marktwirtschaft" die letzte Ruhe.
9. Grundig - Rückblick
13. Januar 1997. Die Weit erscheint mit einem provokanten Titel „Die Totengräberpolitik des Killerwals“. Worum es geht, verrät die Unterzeile: „Mit dem Einstieg von Philips begann der Abstieg der Wirtschaftswundermarke Grundig.“ Ein schwarzer Tag für die Grundig-Beschäftigten, die erst aus den Medien informiert werden, daß sich der holländische Elektroriese nach Auskunft des Grundig-Vorstandsvorsitzenden Pieter van der Wal nach 13 Jahren aus der Unternehmensführung zurückziehen will. 1,5 Milliarden haben die Niederländer nach eigener Darstellung zugebuttert, jetzt sind sie entschlossen, den Geldhahn abzudrehen.
Bereits im Vorjahr hatte eine merkwürdige Werbekampagne die Öffentlichkeit alarmiert. Mit dem Slogan „Standort Deutschland in Gefahr - Rettet Grundig - Kauft Grundig“ warb im März 1996 eine süddeutsche Elektroeinzelhandelsgruppe für Fernsehgeräte der Marke Grundig. Das Fürther Unternehmen hatte kurz zuvor einen Rekordverlust von 600 Millionen Mark und einen weiteren Stellenabbau bekanntgegeben. Keine andere deutsche Firma mit gerade mal drei Milliarden Mark Umsatz und noch etwa 8500 Mitarbeitern wäre wohl in der Lage gewesen, eine derart eigenartige Argumentation zu provozieren. „Doch in den Köpfen der Deutschen“, erklärte Die Welt, „ist Grundig eben nicht ein Industriebetrieb wie jeder andere. Die Firma, die der Unternehmer Max Grundig nach dem zweiten Weltkrieg aufgebaut hat, war längst zu einem Symbol geworden für das Wirtschaftswunderland Deutschland. Stück für Stück zerbröselt nun dieser Mythos.“
Begonnen hatte das lange vorher. Die Nachfolger des erfolgreichen Sanierers Koning agierten ohne unternehmerische Fortune. Vor allem die Hoffnungen, mit der professionellen Elektronik die Marktchancen zu erweitern, hatten sich nicht erfüllt. Bereits 1992/93 hatte der Geschäftsbericht einen Fehlbetrag von knapp 187 Millionen ausgewiesen - herbeigeführt durch „Konjunkturschwäche und Preisverfall“. Die Alarmglocken schrillten. „Max Grundig - sein stolzes Erbe zerbricht“ unterrichtete beispielsweise die Abendzeitung München die Öffentlichkeit vom anstehenden Entmündigungsverfahren für den fränkischen TV-Bauer: „Philips macht Grundig endgültig zur Konzernfiliale. Die fränkische Traditionsfirma soll ihr Herzstück, die Abteilung Forschung und Entwicklung, verlieren.“
Empört reagierte der Aufsichtrastvorsitzende Gerd Lobodda. Obwohl zugesichert war, die Marke zu erhalten, wurde Grundig bilanztechnisch Philips zugeschlagen. War die eigene Identität nur noch eine Worthülse? In den fränkischen Stammbetrieben jedenfalls ging die Angst um. Der Bau von Videorecordern und schnurlosen Telefonen wurde nach Wien verlagert, weitere Kahlschläge zeichneten sich ab. „Wir könnten in unseren drei Werken 3,1 Millionen Fernsehgeräte jährlich bauen“, suchte der Grundig-Pressesprecher eine Erklärung für das Finanzloch, „der Markt nimmt uns aber nur zwei Millionen ab. Wir müssen Überkapazität abbauen.“
1997
Zum ersten Mal in der Geschichte des Fernsehens geht ein Sender an die Börse. Der Münchner Sender „Pro 7", im Hauptbesitz von Leo Kirchs Sohn Thomas, beschreitet diesen neuen Weg und erweist sich als begehrte Anlage.
Als die Marke Grundig 1995 eigentlich ihren 50. Geburtstag hätte feiern können, gab es dazu wenig Grund. Zwar beschwichtigte die Geschäftsleitung: „Grundig hat sich vom anhaltenden negativen Branchentrend gelöst und nach drei Jahren rückläufiger Umsätze ... wieder ein Wachstum erreicht“, doch gleichzeitig gab sie ein negatives Ergebnis von 92 Millionen bekannt. Auch die Beschäftigtenzahl war drastisch gesunken: von noch über 16.000 im Jahr 1993 auf nunmehr knapp 11.500. Der große Schock kam nur wenige Monate später:
Hand in Hand mit dem Vorstandswechsel zu Pieter van der Wal kam die Ankündigung einer großangelegten Restrukturierung „unter Einschluß eines Abbaus von 3.000 Mitarbeitern bis zum Abschluß der Restrukturierung, davon rund 2.200 in Deutschland, auf rund 8.400 bis Ende 1996“. Nach Abschluß dieser Maßnahmen „sollte Grundig in der Lage sein, künftig auf eigenen Füßen zu stehen, ohne automatisch gewährleistete Unterstützungen durch Philips. Deshalb wird Philips den Beherrschungsvertrag zwischen Grundig und Philips zum Jahresende 1996 beenden.“
Bild der Harmonie: Chantal Grundig mit Max Grundig
Von da an jagten sich die Hiobsbotschaften, eine verzweifelte Suche nach einem potenten Partner begann. Immer lauter wurde der Zorn auf jene Frau, die, so meinten viele, die Firma retten könnte: Chantal Grundig, einst als Gesellschaftsdame für Grundigs zweite Frau Anneliese zur Familie gestoßen, war als Max Grundigs Witwe zur Milliardenerbin geworden. Über die Stiftung, „mit der sich Grundig praktisch in die eigene Tasche gestiftet hat“ (Stern), kassierte sie eine jährliche Garantie-Dividende von 50 Millionen Mark von Philips, dazu 750.000 Mark Jahresgehalt, die sie sich selbst als Stiftungsvorsitzende zugeteilt hatte. Diese Konstruktion galt bis zum Stichjahr 2004, danach mußte Philips die Aktien der Stiftung auch noch kaufen.
50 Millionen im Jahr. „Die soll die Witwe gefälligst wieder in die Firma stecken“, forderten aufgebrachte Arbeiter in den Grundig-Werken, die um ihren Arbeitsplatz bangten. Damit könnten überlebenswichtige Forschungsbereiche aufgebaut werden, meinten Betriebsrat und Gewerkschaftler, seit sich der Absturz 1993 abgezeichnet hatte. Schon damals war der stellvertretende Grundig-Aufsichtsratvorsitzende und Nürnberger IG Metall-Bevollmächtigte Gerd Lobodda, auf den Gedanken gekommen, die „bei den hohen Verlusten geradezu unmoralische“ Garantie-Dividende neu zuverhandeln. „Wenn Max Grundig über die Stiftung sein Lebenswerk erhalten wollte, dann kann es nicht stimmen, daß die Firma ausblutet und die Erben die Garantiedividende nehmen, um ihre Hotelverluste auszugleichen.“ Schon damals biß er auf Granit. Die Verträge waren wasserdicht. „An den Vereinbarungen von 1984 hat sich nichts geändert“, ließ die Stiftung lapidar verlauten.
Die Zeichen der Zeit nur noch schwer erkannt: Max Grundig
„Deutschlands reichste Witwe“ (wie sie die Yellow Press gern titulierte), die über ein geschätztes Vermögen von 4,4 Milliarden verfügte, drei Jahre nach Max Grundigs Tod dessen Leibarzt Professor Günther Dietze geheiratet hatte und mit ihrem neuen Ehemann und der 1996 fünfzehnjährigen Tochter Maria Alexandra ein zurückgezogenes, aber luxuriöses Leben führte, schien es wenig anzufechten, daß die Anfeindungen immer lautstärker wurden. „Würde sie nur ein Jahr auf ihr Geld verzichten“, rechnete die tz München im Februar 1996 vor, „könnten 750 Arbeitsplätze gerettet werden“ und zitierte dazu einen Grundig-Betriebsrat: „Ich glaube, wir sind so eine Art Melkkuh für sie.“
Auch die mittelfränkische SPD schaltete sich ein und appellierte öffentlich Richtung Baden-Baden: „Sie könnten ein doppeltes Zeichen setzen. Einmal für den Namen Grundig, der seit Jahrzehnten mit der Region verbunden wird, zum anderen bei Hilfen zur Existenzsicherung.“ Ohne Ergebnis. „Das ist unverantwortlicher parasitärer Starrsinn“, wetterte IG-Metallchef Lobboda ebenso macht- wie ratlos. Arroganz, Herzlosigkeit und Geldgier wurden Chantal Grundig inzwischen nahezu unisono vorgeworfen. Als „moralinsauer“ tat es Ludwig Poullain, der Ingenieur des Verkaufsvertrags, ab. Schließlich seien die Firmenanteile zu diesem Preis an Philips veräußert worden. Berthold Beitz, einer der engsten Freunde und Mitarbeiter Max Grundigs, bot sich als Vermittler an, mußte jedoch schließlich zugeben, bei seinen mehrfachen Missionen auf verlorenem Posten gekämpft zu haben. Daß der Firmengründer sein Lebenswerk niemals vor die Hunde hätte gehen lassen, davon war nicht nur er überzeugt. Daß Chantal Grundig das alles nicht scherte, machte nicht nur ihn wütend. Zumal sich die drängende Frage stellte: Wie sollte ein neuer Eigentümer gefunden werden, wenn sie nicht auf ihr Millionenrecht verzichtetet?
1988
Eine Bank in London, die Investmentbank Credit Suisse First Boston, sollte schließlich das Wunder vollbringen und einen Partner für die schwer angeschlagene Grundig AG finden. Auf dieses Ergebnis einigten sich der Grundig-Vorstandsvorsitzende van der Wal und der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu im Januar 1997. Im Rahmen des Möglichen werde die Staatsregierung bei der Partnersuche behilflich sein. „Wiesheu sieht für den Fortbestand des Fürther Traditionsunternehmens durchaus gute Chancen“, faßte die Süddeutsche Zeitung zusammen. „Die Grundig AG, ab sofort schuldenfrei gestellt, sei nach wie vor Marktführer in Europa vor Sony. Schwarzmalerei bringe dem Unternehmen nur Schaden.“ Den Grundig-Beschäftigten halfen solche Perspektiven wenig. „Von den 1000 Mitarbeitern im Fürther Tuner-Werk, das 1996 nach Nürnberg verlegt wurde, sind dort nur 140 angekommen. Der Rest ist offenbar an der Stadtgrenze verlorengegangen“, wunderte sich der IG-Metail-Bevollmächtigte. Längst hatten sich in der Belegschaft Hoffnungslosigkeit, Lähmung und Demotivation ausgebreitet, die Stimmung schwankte zwischen Traurigkeit und Aggression. Philips, so wurde verbittert festgestellt, hätte Grundig wohl endgültig zum Ausschlachten freigegeben. Das böse Wort vom „Leichenhaus“, dem die Konzernzentrale inzwischen gleiche, machte die Runde.
Die Gewerkschaft versuchte gegenzusteuern. Betriebsrats- und IG Metall-Chef brachten eine neue Karte ins Spiel, auf die sie setzen wollten. Sie hieß Edmund Stoiber. Der bayerische Ministerpräsident und der Freistaat sollten, so ihre Vorstellung, die unternehmerische Führung treuhänderisch übernehmen. Parallelen zu einem ähnlichen Fall wurden gezogen. „Grundig muß BMW Nordbayerns werden“, forderte ein SPD-Landtagsabgeordneter und spielte damit auf die 50er Jahre an, als der Münchner Automobilkonzern eine ernste Krise nur mit politischer Hilfestellung überlebte. Am provokantesten formulierte IG Metall-Chef Lobboda, der jetzt an allen Fronten kämpfte, seine Überlebensvision: „Grundig muß enteignet werden.“ Für ihn stand vor allem die Max-Grundig-Stiftung samt der Familie Grundig in der Pflicht, die im komplizierten Beteiligungsgeflecht insgesamt 68,4 Prozent der Anteile hielt, Philips dagegen nur 31,6 Prozent.
Grundig war zum Politikum geworden. Kaum ein Tag, an dem der Name nicht in Wirtschaftsteilen der maßgeblichen Presseorgane auftauchte, kaum ein Tag, an dem aus der Fürther Zentrale nicht die Kunde von Krisensitzungen und Protestaktionen der Belegschaft drang. Die richteten sich voll blanken Hasses auch immer wieder gegen die „Skandal-Dividende“ der Grundig-Witwe. Darüber wußte Die Welt am 3. Januar 1997 erstmals Neues zu berichten: „Es ist nicht ausgeschlossen, daß diese spektakuläre Vereinbarung vorzeitig gelöst wird, denn Philips bezahlt mit dieser Summe den Anspruch auf die unternehmerische Führung bei Grundig - trotz der Minderheitsbeteiligung. Und auf dieses Privileg haben die Holländer ja soeben verzichtet. Darüber hinaus scheint inzwischen sogar die Grundig-Familie grundsätzlich zu einem Rückzug aus dem Unternehmen bereit.“
„1000 verlieren den Job und Chantal kassiert“, bestätigte zehn Monate später die tz diese Vermutung, und resümierte: „Grundig - dieser Name steht für das Wirtschaftswunder, für kometenhaften Aufstieg, Grundig - der Name steht für verschlafene Chancen, für einen tiefen Fall ins Milliarden-Defizit. Grundig - der Name steht für einen Skandal: Während tausende ihren Arbeitsplatz verloren, wurde Erbin Chantal Grundig Jahr für Jahr um 50 Millionen reicher. Und jetzt, zur Neuordnung des Unternehmens kassiert sie nochmals kräftig ab. Die Rede ist von 350 bis 450 Millionen Mark!“ Dennoch herrsche in dem Fürther Unternehmen zum Jahresende wieder Optimismus. Befreit von den Familien-Querelen „können die neuen Eigentümer voll durchstarten. Nun will man den Anschluß an den Weltmarkt wiedergewinnen.“
Der Tag, der die Wende gebracht hatte, war der 18. Dezember 1998. Da wurde es offiziell: Grundig war gerettet! Es war der große Tag des Otto Wiesheu. „Seit Juni verging kein Tag, an dem ich mich nicht mit Grundig beschäftigt habe“, sagte der bayerische Wirtschaftsminister, als um 10.40 Uhr das Dokument, das unter seiner Federführung in monatelangen Verhandlungen entstanden war, unterzeichnet worden war. Damit war nach 14 Jahren die Ära Philips in Fürth beendet. Das Sagen hatte nun ein Konsortium unter bayerischer Führung - bestehend aus Banken, Versicherungen, Management und dem Rosenheimer Antennenbauer Kathrein -, dem durch den Vertrag 95 Prozent der Aktien übertragen worden waren. „Grundig hat die Eigenständigkeit wiedererlangt“, gab Vorstandssprecher Herbert Bruch seiner Freude nach der Vertragsunterzeichnung Ausdruck. „Das macht stolz und gibt den Ansporn, an Untemehmenserfolge der frühen Vergangenheit anzuknüpfen.'' Und Aufsichtsratsvorsitzender Burkhard Wollschläger maß dem Vertragswerk sogar „gesellschaftspolitische Dimension“ zu: „Wenn Grundig gestorben wäre, hätte sich der ganze Industriezweig aus Deutschland verabschiedet.“ Nun jedoch könne der Konzern furchtlos indie Zukunft gehen. „Ab 1999“, so seine Prognose, „werden wieder schwarze Zahlen geschrieben.“
Abschied von einem Patriarchen: Trauerfeier für Max Grundig in Baden-Baden
Eine erste Bestätigung folgte schon drei Monate später. Im Unternehmen, so verlautbarte der Geschäftsbericht 97, seien wieder Aufbruchstimmung und Pioniergeist zu spüren. „Die Situation hat sich ganz dramatisch verbessert“, gab Wollschläger in München bekannt. Eine Euphorie, die sein Stellvertreter im Aufsichtsrat, Gerd Lobboda, im Frühjahr 1999 so nicht teilen konnte: „Ich kann bestätigen, daß alles dramatisch ist, und daß alles verbessert werden muß. Die von Philips hinterlassenen Flurschäden sind noch lange nicht bereinigt.“ Eine schnelle Sanierung sieht er vor allem durch den mit der Asienkrise eingetretenen Preisverfall gebremst. „Ich kann nur hoffen, daß das vom Vorstand kreierte neue Fabrikkonzept auch auf die Menschen baut, die in den Fabriken tätig sind. Wenn das nicht gelingt, wenn sie sich nicht mit ihrem Betrieb identifizieren können, dann ist die letzte Chance für Grundig vertan.“
Das Leben einer Region geprägt: Im Hauptwerk Fürth liegen Kondolenzlisten für Max Grundig aus
Immer wieder Krisenintervention nötig: der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber im Gespräch mit den Vorstandsmitgliedern Harnessen und Timmer im Jahr 1995
Rein rechnerisch jedenfalls sind mit der verordneten Schlankheitskur zunächst einmal die Weichen gestellt. Mit einer umfangreichen Rezeptliste soll die Rekonvaleszenz des Patienten vorangetrieben werden: Auslandsproduktionen sollen zurückgeholt und damit die gesunkene Kapazitätsauslastung im Nürnberger Werk hochgeschraubt, durch Halbierung des Lagerbestands die Belastung drastisch reduziert, Entwicklungsaufwand, Kreativität und Produktivität forciert werden. „Der gute Name muß wieder für Top-Qualität stehen. Bei der Entwicklung neuer Produkte müssen wir Gas geben. Unser Ziel ist so bald wie möglich die schwarze Null“, kündigt der neue Grundig-Hoffnungsträger Wollschläger an und greift damit - bewußt oder unbewußt - eines der Lebensziele des Firmengründers auf. Die multimediale Produktpalette, mit der Grundig mit zugesicherter Zuversicht den unternehmerischen Marsch ins neue Jahrtausend antritt, sieht neben hochwertigen TV-Geräten nun auch Decoder für das neue digitale Fernsehen und TV-Zugangsboxen für das weltweite Computernetz Internet vor - als vorläufiges Ende einer langen Reihe, an deren Anfang der Heinzelmann stand.
Möchten Sie tiefer in die Geschichte von Grundig eintauchen, dem bemerkenswerten Unternehmen, das von Max Grundig geschaffen wurde? Dieser Pionierbetrieb hat eine Fülle innovativer Technologien und Geräte hervorgebracht, die die elektronische Landschaft maßgeblich geprägt haben. Um mehr über die beeindruckende Palette an Produkten, die einzigartige Unternehmensgeschichte und die visionären Ideen von Max Grundig zu erfahren, besuchen Sie bitte die folgende Website: https://radio-geschichte.de/?view=article&id=1580